Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
entsetzlichen Winternacht, von der man heute noch sprach. Ein Sturm aus Nordost hatte Schnee vor sich hergetrieben, der die Felder mit einer Kruste aus Eiskristallen überzog. Und auf der Schlossinsel in der Schlei hatte sich ein Ungetüm gegen die Kälte gestemmt: Schloss Gottorf, mit vier Flügeln und drei Geschossen, Trutzburg und Hauptsitz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf, war dem Schneesturm trotzig begegnet. Silbernes Licht drang aus den Fenstern, Eisblumen rankten auf den bleigefassten Scheiben und von den Traufen des Gemäuers wuchsen Zapfen aus Eis in die Nacht – funkelnd, wie Lanzen aus geschliffenem Glas.
Noch mehr Bilder strömten auf Sophie ein. Und nun, während sie am Ufer des Ijsselmeeres saß, ihre Augen wieder öffnete und über das Wasser blickte, musste sie daran zurückdenken. Sie konnte sich nicht gegen die Erinnerungen wehren. Und sie wollte auch nicht allein sein mit diesen Bildern.
»Wollen Sie eine Geschichte hören, Mijnheer?«, flüsterte sie und drehte sich zu dem Alten. Sie sah seinen wachen Blick, die Güte darin. Ohne seine Antwort abzuwarten, begann Sophie zu sprechen. Sie erzählte von der Geburt des Kindes und von seinen fürstlichen Eltern. Von den Astrologen, die dem Neugeborenen Glück prophezeit hatten und von dem prunkvollen Tauffest, das der Welt die Bedeutung des Hauses und des kleinen Fürstentums vor Augen führen sollte.
»Eisstückchen trieben auf dem heiligen Wasser, als man den Täufling über die bronzene Schüssel hielt«, sagte sie und sah dabei das Schimmern der Kerzen und die Pracht des Schleswiger Doms vor sich. »Hofprediger Jacob Fabricius zitterte in seinem dünnen Ornat, trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, das Taufwasser einen Moment in der Hand anzuwärmen, bevor er das Köpfchen des jungen Herzogs damit benetzte und das Sakrament der Taufe vollzog. Der fürstliche Erbe erhielt den Taufnamen Friedrich – ein ebenso großer wie vielversprechender Name, der sowohl bei den Gottorfer Herzögen als auch im Königshaus der dänischen Verwandten beliebt war.«
Auch das Volk, das dem Spektakel vor dem Dom gefolgt war, hatte dem Täufling und seinen fürstlichen Eltern fröstelnd Respekt gezollt. Als sich ein Sonnenstrahl durch die schwere, eisgraue Wolkendecke verirrt und die Kutsche der herzoglichen Familie für wenige Sekunden golden überzogen hatte, war ein Raunen durch die Menge gegangen. Gott habe ihnen in einem unbedachten Moment einen Engel auf die Erde hinabgesandt, hatten die Leute ehrfürchtig geflüstert und der Frost hatte ihre Worte in flüchtigen Wolkenbildern davongetragen.
»Der junge Herzog Friedrich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass Familie und Untertanen Großes von ihm erwarteten«, fuhr Sophie fort. Sie sah, dass der Alte ihren Worten fasziniert lauschte. »Der Junge war wissbegierig und hell, schon früh begann die religiöse Erziehung des Kindes, danach folgten die antiken Autoren, die lateinische und griechische Sprache. Das Wissen des Altertums, die sieben freien Künste, stand ebenso auf dem fürstlichen Stundenplan wie die Theologie, die Königin aller Wissenschaften. Wie es Sitte war, schickte Herzog Johann Adolf seine beiden ältesten Söhne auch auf eine Reise ins Ausland, um dort ihre Erziehung zu vollenden.«
Die Reisegesellschaft war im Mai anno 1615 gen Süden aufgebrochen, über Frankfurt, Worms und Speyer reisten die Fürstensöhne nach Straßburg und Paris. Nie waren die beiden jungen Kavaliere freier gewesen, nie hatten sie sich glücklicher gefühlt, doch ein Brief aus dem Norden hatte ihr seliges Dasein jäh beendet. Denn auf Schloss Gottorf war der erst einundvierzigjährige Herzog Johann Adolf verstorben. Sobald der junge Herzog die Nachricht empfangen hatte, legte er Trauerkleidung an und erteilte seinen ersten Befehl. Die Zeit der sorglosen Tagträumereien war beendet. Unter seinem Kommando machte die Reisegesellschaft sich auf den Rückweg nach Schleswig.
»Im Dezember 1618 erkannten die Ritter Herzog Friedrich ohne vorangegangene Wahl als ihren neuen Landesherrn an und huldigten ihm«, fuhr Sophie fort. »Friedrich III ., der Erbe von Norwegen, Herzog von Schleswig, Holstein, Stormarn und Dithmarschen, Graf von Oldenburg und Delmenhorst, war bereit, die Welt mit Gottes Hilfe zu erobern.«
Sophie holte tief Luft, sie zitterte im Wind. Frierend schlang sie das wollene Tuch fester um ihren Körper.
Der Alte schüttelte den Kopf. »Komm Meisje …«, sagte er und fasste sie sanft am Arm. »Komm
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