Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
lächelte, sie dachte, dass sie sich das erste Mal wieder geliebt hatten. Zum ersten Mal seit …
Sie mochte den Namen des Verdammten nicht einmal denken.
Bösch war überglücklich gewesen. In der kurzen Spanne zwischen Liebestaumel und erschöpftem Schlaf hatte er ihr sein Leben versprochen.
Konnte sie sein Geschenk annehmen?
Sophie sah in den gewölbten Himmel hinauf. Die Sterne standen still, das Kerzenlicht war verloschen. Und doch funkelten die silbergoldenen Punkte über ihnen. Es war fast so, als ob sie unter freiem Himmel schliefen.
Sie drehte sich auf den Rücken, unter halb geschlossenen Lidern ließ sie ihren Blick über die Sternbilder wandern. Die Farben glitten ineinander, träge ließ sie ihre Gedanken treiben, bis sie das Sternengewölbe verließen.
Wie lange hatte sie nicht mehr auf dem Hügel über dem Neuwerk-Garten übernachtet? Sophie dachte an das Grab ihres Bruders, das inzwischen eingesunken, mit seiner Umgebung verwachsen war. Wer nicht wusste, was sich dort befand, sah lediglich wildes Gras und dunkle Moosflechten, Farn und Gestrüpp.
Er würde bleiben.
Dann sah sie Farid. Er hatte ihren Bruder begraben und das Totengebet gesprochen. Da war die fremde Melodie seiner Worte. Sie hörte den Klang seiner Stimme, Meeresrauschen und Wüstenferne schwangen darin, das Sehnen nach dem Ort seiner Kindheit. Das Verlangen nach Glück und Geborgenheit, nach dem berauschend-prächtigen Sonnenaufgang über Isfahan.
Sophie atmete tief ein und aus. Sie versuchte, sich wieder auf das Rund der Sternenbilder zu konzentrieren, doch Farids Stimme ging ihr nicht aus dem Kopf. Plötzlich erinnerte sie sich daran, was er ihr über die Gotteshäuser seiner Heimat erzählt hatte. Die gewaltigen Moscheen des Schahs waren von weiten Kuppeln überkrönt. Mosaiken und farbige Fayencen schmückten die Gewölbe, Blumenbilder, Pflanzenranken und die Schriften der heiligen Texte.
»Der Schmuck, die Farben, das flirrende Licht erzeugen einen Rausch«, hatte er ihr zugeflüstert, so leise, als ob er ihr das Geheimnis der Welt verriete. »Wie Musik … wie die schönste, köstlichste, himmlische Melodie.«
Wie eine himmlische Melodie. Sie schloss die Augen. Plötzlich wusste sie, was sie beim Ausmalen des Sternenhimmels angeleitet hatte. Es waren nicht nur die Blaeuschen Karten gewesen, nicht allein Holtzbeckers Schule oder die Gelehrsamkeit des Hofmathematicus.
Es war auch Farid gewesen. Immer wieder Farid, Farid, Farid.
Farid, der fort war und der sie doch nie ganz verlassen hatte.
Sophie streckte sich, vorsichtig setzte sie sich auf. Bösch schlief noch immer. Behutsam strich sie ihm das aufgelöste Haar aus der Stirn. Welche Bilder sah er in seinen Träumen?
Sie sah ihn lange an, beobachtete seine Bewegungen im Schlaf. Die Entspannung ließ sein Gesicht jünger erscheinen, fast jungenhaft. Sie dachte, dass noch so vieles vor ihm läge. Er würde weitere Wunderwerke schaffen können. Seine schöpferische Kraft war nicht an einen Ort gebunden.
Und er würde auch ohne sie weiterleben können. Dankbar dachte sie an sein geduldiges Ausharren zurück. Er hatte ihr Kraft gegeben, sie mit Zuversicht beladen.
Und doch spürte sie plötzlich, dass er sich irrte.
Sie würde ihren Erinnerungen nicht entfliehen können. Auch über einem Höllenhund wie Ritter Rantzau ging der Himmel auf. Sein Schatten würde stets bei ihr bleiben, sein Wüten hatte sich unauslöschlich in das Gedächtnis ihres Körpers und ihrer Seele eingebrannt.
Sie wäre auf der Flucht – nicht nur vor dem Krieg.
Und schlimmer noch: Wenn sie Bösch folgte, täuschte sie nicht nur sich selbst. Sie täuschte auch den Gefährten über ihre Gefühle. Denn ihr Herz und ihr Sehnen hingen immer noch an Farid.
Farid, Farid, Farid.
Sein Name glich einem Lied, das in ihr schwang.
Wo war er nun? War er bereits auf dem Weg nach Persien?
Plötzlich drängte es sie danach, seinen Weg zu verfolgen.
Vorsichtig löste sie sich von Bösch. Sie stieg über seinen schlafenden Körper und durch die Globusluke hinaus in den dunklen Saal.
Wie spät mochte es sein? Durch die verschlossenen Fensterläden drang kaum Licht von draußen herein. Sie tastete sich voran und zündete eine Kerze an. Über eine Leiter gelangte sie auf die Horizontgalerie, die den Globus umfasste.
Wo war Amsterdam?
Sie suchte Farids Ordinate, die reiche Stadt lag auf zweiundfünfzig Grad Nord und etwa vier Grad Ost. Mit dem Finger zeichnete sie die Distanz zwischen Schleswig und Amsterdam
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