Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
ihre Pinsel und Zeichenfedern, sorgfältig rollte sie die Utensilien in ein weiches Tuch aus Leder ein. Sie dachte daran, was Olearius ihr über die Stadt erzählt hatte. Er hatte zwar in Leipzig studiert, doch die Nachbarstadt bei einigen Besuchen gut kennengelernt. Inzwischen war Dresden zur Hauptstadt des wichtigsten lutherischen Landes innerhalb des Kaiserreiches geworden.
Bösch, der seine Instrumente und Werkzeuge fettete und ebenfalls in Leder einschlug, nickte. »Meine Arbeiten hier in Schleswig sind nahezu beendet. Der Herzog braucht mich nicht mehr, um die letzten Details am Globus und an der Sphaera Copernicana zu vollenden. Und wenn wir mit dem Hofstaat nach Tönning gehen, wissen wir nicht, wie lange wir in der Stadt festsitzen. Was ist, wenn die Dänen die Festung über Monate belagern? Oder andere Mächte in den Krieg eingreifen? Was geschieht, wenn die Vorräte in der Stadt knapp werden, wenn dort Krankheiten und Seuchen ausbrechen? Noch ist Zeit, dass wir unbehelligt nach Dresden weiterziehen können.«
Bösch hatte recht, natürlich hatte er recht. Sophie ließ den Blick durch die Schmiede schweifen. Sie sah die Esse, in der schon seit Wochen kein Feuer mehr brannte, ihren schwarzen, rußigen Schlund, die verwaisten Drehbänke, an denen man die aus Eisen oder Messing gegossenen Zahnradrohlinge in die passende Form gebracht hatte.
»Olearius wird mit dem Herzog gehen, wenn es an der Zeit ist. Catharina hat es mir erzählt, sie ist dabei, das Nötigste für die Familie zusammenzupacken. Alles soll bereit sein, wenn der Befehl zum Aufbruch kommt. Sie nehmen auch Melissa mit.«
Bösch nickte, er wunderte sich nicht. »Sein Lebenswerk, alles, was er erschaffen hat, befindet sich auf Schloss Gottorf«, erwiderte er ihr. »Die Bibliothek, die Kunstkammer, der Riesenglobus – alles ist von seinem Geist durchdrungen. Es würde ihm das Herz brechen, wenn er die Herzogtümer für immer verlassen müsste. Aber ich, wir, wir beide haben doch noch so vieles vor uns. Ich will mich nicht hinter Festungsmauern verschanzen. Ich war immer frei – frei in meinen Entscheidungen. Ich will mich nicht den irren Kräften eines Krieges ausliefern.«
Bösch hatte seine Werkzeuge zur Seite gelegt und kam an ihren Zeichentisch. Sanft strich er Sophie über die Wange. Sein Blick glitt forschend über ihr Gesicht, als suchte er darin nach einer Bestätigung. Nach einer Bestätigung für ihre Liebe.
»Ich weiß, wie schwer es dir fällt, fortzugehen, Sophie.«
Seine Stimme klang zärtlich, wie mit Liebe beschlagen. Er griff nach ihren Händen, zog sie an sich.
Dankbar dachte sie, dass sie seine Nähe wieder gut ertragen konnte. Nachdenklich lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter.
»Mein Leben ist auch mit diesem Ort verbunden«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, ob …« Hilflos verstummte sie, wie könnte sie Bösch die Bedeutung ihrer Worte begreiflich machen? Wie sollte sie ihm erklären, dass der Garten und das Globushaus die Architektur ihrer Erinnerung waren. Etwas hielt sie hier fest.
»Lass uns Abschied nehmen …« Bösch schob sie ein Stück von sich und sah ihr in die Augen. »Es ist wichtig Abschied zu nehmen und die Dinge mit reinem Herzen hinter sich zu lassen. Du musst dich mit den Umständen versöhnen, erst dann kannst du wirklich loslassen. Diesen Ort – und alle Erinnerungen, die mit ihm verbunden sind.«
Sophie versuchte, seinem Blick standzuhalten. Doch immer wieder schweiften ihre Augen durch die Schmiede, die trotz der gemeinsamen Jahre unbehaust wirkte. Plötzlich bemerkte sie, dass sie sich nie ein Heim geschaffen hatten. Immer hatten die Arbeit, das Voran und der Riesenglobus im Mittelpunkt gestanden. Und sie hatte das Statische, in sich Ruhende nie vermisst, so als ob sie den provisorischen Charakter ihres Zusammenlebens nie hatte festschreiben wollen. Worauf hatte sie gewartet?
Und Bösch? Sophie dachte, dass er immer schon von Aufgabe zu Aufgabe, von Auftraggeber zu Auftraggeber, von Ort zu Ort gezogen war. Der Wandel hatte sein Leben geprägt. Und nie hatte er sich irgendwo häuslich niedergelassen, sich über längere Zeit gebunden. Warum also hing er so an ihr? Seit ihrem Zusammenbruch hatte sie ihm jedenfalls nicht mehr als das Versprechen auf ein Später geben können. Ihre Nächte waren so rein und unschuldig wie ein leichter Sommerregen gewesen. Doch aus irgendeinem Grund hatte er ihre Zurückhaltung respektiert. Er hatte sie nie gedrängt und dafür schätzte sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher