Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Und an das Durcheinander in seinem Kopf. Wo sollte er beginnen?
Aus der fürstlichen Bibliothek hatte er sich die Werke der maßgeblichen Gelehrten kommen lassen – Aristarchos von Samos, Claudius Ptolemäus, Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler, Galileo Galilei, Tycho Brahe …
Folianten, Karten, mathematische Formeln und technische Zeichnungen bedeckten jeden freien Platz, eine nur ihm bekannte Ordnung hielt die gestapelten Türme aus Papier und Pergament im Gleichgewicht. Er hatte Catharina streng verboten, sein Kabinett zu betreten. Ja, selbst in den Nächten, den kostbaren Stunden der Zweisamkeit, zog es ihn wieder zurück an seinen Arbeitstisch, wo er bis in die frühen Morgenstunden grübelte. An Schlaf war nicht zu denken.
»Und?« Der Herzog war stehen geblieben, um die Anlage der Terrassen auf sich wirken zu lassen. Auf dem Hügel hatte man den Aufmarsch der Gäste bemerkt. Unter dem Kommando des Hofgärtners bildeten die Gartenjungen und Gesellen ein Spalier. Meister Friedrichs selbst eilte auf den Herrscher zu, offensichtlich hatte er nichts von dem Besuch geahnt. Olearius sah, dass ein leichtes Lächeln die Lippen des Herzogs umspielte.
»Nun, Durchlaucht, der Globus soll Erde und Gestirne vereinen, ihren Lauf nachvollziehbar machen und das Universum versinnbildlichen. Das ist …«
»Eine Herkulestat! Ich erinnere mich, dass wir bereits darüber sprachen.«
Das Lächeln war verschwunden, die grauen Augen des Herzogs bohrten sich in seinen Blick. Mit jedem Wimpernschlag schienen die Pupillen dunkler zu werden. Sie glichen einem tiefen, unbekannten Gewässer.
»Die Gelehrten sind sich nicht einig, Durchlaucht.«
Olearius schluckte, wieder sah er die Bücherstapel in seinem Studierzimmer vor sich, seine Notizen, die stumpfen Federn, die trockenen Tintenfässer. Nach welchem Weltbild sollte er den Gottorfer Globus konstruieren? Er erinnerte sich an den Gedankenblitz auf dem herzoglichen Fest. Alles war ihm wie selbstverständlich erschienen. Doch nun kam er einfach nicht voran.
Was den Erdglobus betraf, dachte er, so waren die Schwierigkeiten beherrschbar. In den vergangenen Jahrzehnten war die Kunst der Kartografie stetig weiterentwickelt und verbessert worden. Jede Expedition brachte schließlich neue Erkenntnisse. Entdeckungsreisende vermaßen fremde Länder und Gebiete und ermöglichten Zeichnungen von immer genaueren Karten, die sich auf Globen übertragen ließen. Ja, Olearius selbst hatte auf der Persischen Reise schließlich zur Vermehrung dieser Erkenntnisse beigetragen, indem er jeden Landstrich und jedes Gewässer, die sie durchquert hatten, akribisch vermessen hatte. Allein die ungeheure Größe des Objekts, so grübelte er, bliebe tollkühn und herausfordernd. Sie würden die besten Schmiede, Uhrmacher und Mühlenbauer verpflichten müssen, um die gewaltige Erdkugel zu montieren.
Eine ganz andere Sache jedoch war der Himmelsglobus. Unwillkürlich schüttelte Olearius den Kopf. Bisweilen wünschte er sich, er hätte Kopernikus’ großes Werk – »De Revolutionibus Orbium Coelestium«, so lautete der lateinische Titel des Traktats, denn es handelte von den Umschwüngen der himmlischen Kreise – nie aufgeschlagen. Das Buch aus dem Jahr 1543 hatte schließlich sämtliche Fundamente von Wissenschaft, Theologie und Hierarchie, die seit Aristoteles und der Antike galten, einstürzen lassen. Kopernikus hatte das Weltsystem radikal neu gedacht. Seiner Überzeugung nach bildete nicht die Erde das Zentrum, sondern die Sonne. Sie stand im Mittelpunkt der Kreisbahnen, welche die Planeten, zu denen auch die Erde gehörte, um sie beschrieben. Die Erde wiederum war der Mittelpunkt für die Mondlaufbahn. Außerdem hatte Kopernikus berechnet, dass die Erde nicht fest stand, sondern sich in vierundzwanzig Stunden einmal um eine Achse drehte, die man sich durch den Nord- und Südpol denken musste.
War das möglich? Olearius seufzte auf. Er bemerkte, dass der Herzog ihn immer noch unter hochgezogenen Brauen beobachtete, doch er schwieg. Zu wenig durchdacht war das noch, was sich da wie Wolkengebilde in seinem Kopf auftürmte.
Seit nahezu einhundert Jahren tobte nun der Streit, ob Kopernikus’ Lehre richtig sei oder nicht. Viele der wichtigsten Köpfe waren überzeugt, dass die kopernikanische Astronomie ganz und gar dem Weltverständnis der Heiligen Schrift widersprach. Vor wenigen Jahren noch, anno 1633, hatte der italienische Astronom Galileo Galilei sogar schwören müssen, die tägliche
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