Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
im Krallenturm genäht hatte. Aber warum trug er es
jetzt?
Der Krieger dachte kurz über dieses Rätsel nach und
zuckte dann die Achseln. Er befand sich offensichtlich in
einem Traum, und da war alles möglich.
Langsam schritt er durch das Lager. Die Feuer waren
bis auf ein paar glimmende Kohlen heruntergebrannt,
keine Flammen trotzten zuckend dem goldenen Nebel.
Die Alaunt lagen schlafend im Kreis um das Zelt, in dem
Aschure und er nächtigten. Keiner der Hunde regte sich,
als er über sie stieg. Ihre Flanken hoben und senkten sich
im ruhigen Atmen ihrer eigenen Träume. Die Wächter,
sowohl die im Lager als auch die außen postierten, starrten wie in Trance vor sich hin. Niemand rief Axis an.
Nichts davon konnte den Krieger bekümmern, denn er
befand sich ja in einem Traum.
Dennoch entstand in ihm ein leises Unbehagen, und er
verlangsamte seine Schritte. Als er Belials Zelt erreichte,
warf er einen Blick hinein. Der Leutnant lag in tiefem
Schlaf und hielt eine dunkelhaarige Schöne im Arm, die
zu Isgriffs Gefolge gehörte. Ein rotes Kleid fand sich
achtlos hingeworfen am Fußende der Decken, in die sie
sich eingerollt hatten. Axis grinste leicht. Hatte sein alter
Freund also endlich jemand gefunden, der ihn über Aschure hinwegtröstete.
Der Krieger begab sich zum nächsten Zelt, dem von
Magariz. Auch der Fürst schlief nicht allein. Aber diese
Frau kannte Axis besser – Rivkah, seine Mutter.
Er blieb lange am Eingang stehen und betrachtete die
Umrisse ihrer verschlungenen Körper unter der Decke.
Warum gab der Traum ihm dieses Bild ein? War es nur
seine Einbildungskraft? War es eine Vision? Könnte er
sie denn beeinflussen? Tief in sich spürte Axis eine Gefahr, die von diesem Bild ausging. Eine Gefahr, die ihn
betraf, sich ihm aber nicht enthüllte.
Axis ließ die Zeltklappe los und setzte seinen Weg
durch das Lager fort. Nichts regte sich. Alles lag in tiefem Schlummer. Sogar die Zeit schien in diesem Nebel
stillzustehen.
Sobald das Lager hinter ihm lag, wandte er sich dem
Wald der Schweigenden Frau zu, der etwa hundert Meter
entfernt lag. Als Axis damals mit den Axtschwingern
hier auf der Reise nach Gorken genächtigt hatte, war es
ihm noch dringend geboten erschienen, seine Männer so
weit wie möglich von diesem Gehölz fernzuhalten. Zu
jener Zeit hatten sie sich noch vor den Bäumen gefürchtet. Doch seitdem hatte sich bei allen, die mit dem jungen
Sonnenflieger ritten, die Angst vor den Unaussprechlichen gelegt. Bäume und schattige Plätze lösten bei ihnen
jetzt kein Entsetzen, sondern höchstens Neugier aus.
Sobald man im Osten des Landes Schonungen angelegt
hätte, würden bald auch die anderen Achariten ihre
Scheu überwinden und zusammen mit den Ikariern und
Awaren auf den Waldwegen Spazierengehen. Daran
hegte der Sternenmann nicht den geringsten Zweifel.
Eine Bewegung im Nebel fiel ihm ins Auge. Wie das?
Eine Bewegung in diesem reglosesten aller Träume?
Tatsächlich, da schritt eine Gestalt, nur undeutlich hinter
den Nebelschwaden erkennbar. Der Krieger versuchte,
seine Schritte zu beschleunigen, aber der Dunst hing
schwer wie ein Gewicht an seinen Beinen, so als schreite
er durch hüfthohes Wasser.
Dennoch kam Axis der Gestalt immer näher, und er
erkannte jetzt, daß es sich um Ramu handelte. Er war
nackt, und man konnte deutlich sehen, welche grotesken
Veränderungen die Umwandlung an seinem Körper vorgenommen hatte. Buckel wuchsen ihm aus Rücken und
Brust, und seine Gliedmaßen wirkten verrenkt und mißgebildet. Wenn der Aware sich umdrehte, konnte man
seine alten Gesichtszüge kaum noch erkennen. Auch
bewegte er sich eigenartig. Er torkelte beim Gehen von
einem Bein aufs andere und zog immer ein Bein nach.
Sein Gang wirkte so unbeholfen, daß Axis befürchtete, er
könne jeden Moment sein Gleichgewicht verlieren. So
verdoppelte er seine Anstrengungen, um dem Magier zu
Hilfe zu kommen.
Doch bevor der Krieger ihn erreichte, blieb Ramu stehen und bückte sich. Ein Messer blitzte auf, und der Magier hielt einen Hasen in der Hand. Er tauchte die Hand
in die offene Wunde, die sein Messer in der Brust des
Tiers hinterlassen hatte, und berührte dann sein Gesicht
und seinen Oberkörper mit den Fingern.
Endlich hatte Axis Ramu erreicht. Mit dem Blut hatte
Ramu kräftige Striche gezeichnet. Drei Längsstreifen im
Gesicht. Der mittlere verlief über dem Nasenrücken, die
beiden seitlichen über den Wangen. Drei weitere befanden sich auf seiner Brust und
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