Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
aufgrund ihrer Masse
kam sie nun noch langsamer voran. An die Geschwindigkeit, mit der früher die Axtschwinger geritten waren,
ließ sich jetzt beim besten Willen nicht mehr denken.
Eines Tages schlugen die Soldaten südlich vom Wald
der Schweigenden Frau ihr Nachtlager auf. Axis dachte
mit Wehmut daran, daß seine Axtschwinger damals nur
drei Tage gebraucht hatten, um von dieser Stätte zu den
Alten Grabhügeln zu gelangen. Seine jetzt einunddreißigtausend Soldaten hatten für die gleiche Strecke neun
Tage benötigt.
Der Krieger seufzte und betrachtete den Wald. Er hatte
keine Einwände erhoben, als sein Vater, seine Großmutter und einige andere ikarische Zauberer am Morgen den
Wunsch ausgesprochen hatten, in den Wald der Schweigenden Frau zu fliegen. In diesem Gehölz drohte ihnen
gewiß keine Gefahr, dafür gab es aber um so mehr zu
sehen und zu entdecken. Dennoch hatte Axis ihnen sicherheitshalber drei Staffeln Luftkämpfer mit auf den
Weg gegeben.
Zu seiner Verblüffung hatten Ogden und Veremund
aber nur die Achseln gezuckte, als er ihnen vorschlug,
doch ebenfalls in den Wald zu reiten. Sie meinten, daß
sie eines Tages zur Burg der Schweigenden Frau zurückkehren würden, aber nicht heute. Ramu, der neben ihnen
stand und sehnsüchtig unter seiner Kapuze zu den Bäumen hinübersah, lehnte ebenfalls ab, als Axis ihn aufforderte, doch die Stätte aufzusuchen. »Später«, antwortete
der Aware nur.
Jetzt trat der Krieger langsam und in Gedanken verloren zu seinem Zelt. Seine Beziehung zu Aschure wurde
immer angespannter, je näher sie Karlon kamen – und
damit zu Faraday. Seit der Abreise von den Alten Grabhügeln rollte sich die junge Frau jede Nacht mit ihrem
Sohn in ihren Decken zusammen und kehrte ihrem Geliebten den Rücken zu. Eines Nachts war es ihm zu
dumm geworden. Er hatte ihr eine Hand auf die Schulter
gelegt und ihr ins Ohr geflüstert: »Sperrt mich nicht aus
Eurem Leben aus, Aschure, denn ich bin nicht gewillt,
Euch einfach so gehen zu lassen.«
Eine Zeit lang hatte die junge Frau geschwiegen, und
Axis vermutete schon, sie stelle sich schlafend. Aber
dann meinte sie: »Ihr und ich haben jetzt fast ein Jahr
zusammengelebt, und an jedem Tag habe ich mich mehr
in Euch verliebt. Verurteilt mich jetzt, da wir uns Faraday nähern, bitte nicht dafür, wenn ich versuche, mich
damit vertraut zu machen, Euch zu verlieren.«
»Aber wir bleiben zusammen –« begann der Krieger,
doch da drehte sie sich zu ihm um und starrte ihn an.
»Ich verliere Euch in dem Moment, in dem Bornheld
stirbt. Mögt Ihr jetzt auch noch so widersprechen und mir
Eure Liebe schwören. Ich weiß, daß Ihr mich eines Tages
Faradays wegen fallenlassen werdet. Vergebt mir, Sternenmann, wenn ich mir ab und zu ein wenig Selbstmitleid gönne.«
Damit drehte Aschure sich wieder auf die andere Seite, schloß fest ihre Augen und erwiderte nichts mehr auf
Axis’ sanfte Berührungen oder Liebesworte.
Ach verdammt! fluchte der Krieger jetzt, als er vorsichtig über Spannseile und Zeltstangen stieg. Vielleicht
wäre es am besten, mich gleich von ihr zu trennen. Aber
selbst, als der Gedanke klar und deutlich vor ihm stand,
wußte er, daß ihm das nie möglich sein würde. Dafür war
Aschure viel zu tief in seine Seele eingedrungen.
Während die Nacht sich über dem Wald der Schweigenden Frau verdichtete, fing der Kesselsee langsam an
zu brodeln. Ein dichter goldener Nebel stieg von der
Wasseroberfläche und trieb durch die Bäume hin zum
Feldlager der Armee von Axis Sonnenflieger.
Etwas später in dieser Nacht öffnete der Krieger die Augen. Lange blieb er einfach liegen, starrte auf die dunkle
Zeltbahn über sich und lauschte Aschures ruhigem Atmen. Sie hatte ihm wieder den Rücken zugekehrt.
Axis wußte nicht, ob er träumte oder wachte.
Schließlich schlug er die Decke zurück und stand auf.
Ob er Aschure wecken sollte – schließlich schien sich
etwas Merkwürdiges zu ereignen –, aber nein, sollte sie
weiterschlafen. Seine Geliebte hatte gestern so müde und
erschöpft gewirkt, da brauchte sie jetzt ihre Ruhe.
Gebückt öffnete er das Zelt und blickte nach draußen.
Ein eigenartiger goldfarbener Dunst lag über dem Lager.
So etwas gab es doch nur im Traum, oder etwa nicht?
Axis trat nach draußen und streckte sich. Als er an sich
hinunter sah, bemerkte er noch mehr Gold. Wie sonderbar. Er trug das goldene Langhemd mit der flammend
roten Sonne auf der Brust, das Aschure ihm vor langer
Zeit
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