Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. »Ja, das
war sie.« Ihr Blick wurde leicht verträumt. »Und sie hat
mir von vielen Dingen erzählt, auch von wundersamen.«
»Vielleicht von fremden und fernen Ländern? Vom
Meer, von den Gezeiten und von langen hellen Stränden?«
Die Stimme des Barons klang ein wenig zu drängend.
»Ja, genau. Sie muß viele Wunder geschaut haben.«
»Und was hat sie Euch über diese fernen und fremden
Länder erzählt? Welche Wunder hat sie Euch gezeigt?«
»Blumen«, antwortete Aschure mit einer merkwürdig
schwerfälligen Stimme. »Viele Blüten. Mondwildblumen
… ja, die hat sie ganz besonders gemocht … Sie sprach
von der Jagd … vom Mondlicht … und von … der Kuppel …« Ihre Stimme verging zu einem Flüstern. »Ja, ich
erinnere mich an die Kuppel.«
Axis sah den Baron verwirrt an und verstärkte den
Griff seines Arms. Hatte seine Liebste etwa dem Wein zu
reichlich zugesprochen?
Aschure zuckte zusammen, als sein Arm ihre Hüften
fester umfing. »Ach, Isgriff, das ist doch schon so lange
her. Wie sollte ich da Einzelheiten im Gedächtnis behalten haben. Die Erzählungen meiner Mutter sind im Nebel
der Erinnerung verloren …«
Genau so wie ihr Name, dachte der Baron. Genau so
wie ihr Name. Alle Priesterinnen legten am Tag ihrer
Weihe ihren Namen ab … Aber was hatte eine der Neun
in Skarabost verloren? Welche von ihnen konnte es nur
gewesen sein? Bei der nächsten Gelegenheit, die sich
ihm bot, wollte Isgriff im Sternentempel Nachforschungen anstellen. Eine leibhaftige Heilige Tochter stand hier
vor ihm. Wenn er wenigstens ihr genaues Alter wüßte,
das würde ihm die Suche ein gutes Stück erleichtern.
»Nun, Aschure, wenn Euch so vieles an Erinnerung
verlorenging, erlaubt Ihr mir vielleicht, Euch etwas über
die Heimat Eurer Mutter zu erzählen.«
»Das wäre mir ein besonderes Vergnügen«, antwortete
die junge Frau. »Berichtet mir bitte alles von Nor. Ich
habe mich oft gefragt, von welchen Menschen meine
Mutter abstammte.«
Kein Wunder, dachte der Baron, daß Axis von dieser
Frau so hingerissen ist. Ob er überhaupt ahnte, wen er da
für sich gewonnen hatte? Welch Geschenk die Götter
ihm gemacht hatten?
Offensichtlich nicht, denn sonst hätte er keinen Moment gezögert, sie zu heiraten.
Während er ihr von den Wundern Nors berichtete, fiel
sein Blick immer wieder auf das Kind, das sie auf dem
Arm trug. Der Knabe faszinierte ihn ebenso sehr wie die
Mutter. Was für eine magische Familie!
In Karlon hatte Bornheld Anlaß zur allergrößten Freude.
Vor ihm stand der koroleanische Botschafter. Der Mann
war fast so dürr wie die Feder, die er in der Hand hielt.
Mit dunklen Augen studierte er das Blatt, das vor ihm
lag.
»Wo soll ich unterzeichnen, Euer Majestät?«
»Hier bitte.« Der König deutete auf die Stelle. »Und
auch hier.«
Der Botschafter seufzte schwer, wohl um auf die Gewichtigkeit der Amtshandlung hinzuweisen, unterschrieb,
reichte die Feder an Bornheld weiter. Der König unterschrieb so schnell, daß seine Augen ihm nicht zu folgen
vermochten, und er erschien ihm in seiner Hast fast obszön.
Kaum war das Pergament unterschrieben, lehnte
Bornheld sich entspannt zurück. Ein Gefühl von Sicherheit und tiefem Frieden überkam ihn. Nun darf Axis ruhig kommen, dachte er. Soll er doch, damit er sehen
kann, welche Überraschung ich für ihn vorbereitet habe.
»Wann wird Euer Kaiser mir die ersten Truppen schicken, Botschafter?«
»Die meisten Soldaten warten bereits darauf, eingeschifft zu werden«, antwortete der Dürre. »In zwei Wochen dürften sie hier eintreffen.«
Keinen Moment zu früh, dachte Bornheld. Gerade
noch rechtzeitig. Er hatte hart darum gerungen, das Abkommen mit dem koroleanischen Botschafter unter Dach
und Fach zu bringen. Mit den Truppen aus dem Kaiserreich würde er all sein Land zurückerobern.
»Noch ein Glas Wein?« fragte er höflich, obwohl ihm
die Vorstellung wenig behagte, seinen besten Roten an
das dürre Gemüse vor sich zu vergeuden. »Ein wirklich
ausgezeichneter Tropfen, wie ich Euch versichern darf.«
18 D ER
T
RAUM
DER SCHWEIGENDEN F RAU
Die letzte Woche des Erntemonds war angebrochen, und
Axis blieben nur noch acht Wochen, seinen Teil der Abmachung mit der Torwächterin zu erfüllen. Mit jedem
Tag, der verging, verschlechterte sich seine Laune, und
er konnte kaum noch an etwas anderes denken als daran,
wie schnell die Zeit verrann. Seine Armee war zwar bedeutend größer geworden, aber
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