Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
ausgerutscht, während
der andere zum tödlichen Stich ausholte, bloß um erleben
zu müssen daß sein Opfer sich in letzter Sekunde zur
Seite rollte?
Faraday war sich nicht bewußt, daß sie den Namen des
Kriegers wieder und wieder vor sich hin flüsterte, während sie sich weiterhin wie von Sinnen gegen Jorges
Griff wehrte. Ihre schlanken Finger drehten den Rubinring von Ichtar so oft und so hart, bis die Haut schließlich
aufriß und zu bluten begann.
Abgesehen von Faradays Bewegungen, um frei zu
kommen, und Flüstern verhielt sich alles im Saal reglos
und schweigend. Die beiden Brüder kämpften, und alle
sahen gebannt zu. Magariz stand hinter Rivkah und hatte
ihr die Hände auf die Schultern gelegt. Sie brauchte diesen Halt, weil sie miterleben mußte, wie ihre beiden
Söhne sich auf Leben und Tod bestürmten. Mochte sie
Bornheld auch noch so ablehnen und sich von ihm losgesagt haben, der Fürst wußte genau, daß sein Tod sie mit
Schmerzen erfüllen würde.
Rivkah konnte den Blick nicht von dem Schauspiel
abwenden. Beide Söhne waren zu erfahrenen Kämpfern
herangewachsen. Bornheld kämpfte mit den Muskeln
und der Taktik, die er sich in vielen Schlachten erworben
hatte, Axis mit der Eleganz und Beweglichkeit, die ihm
sein ikarischer Vater vererbt hatte. Bornhelds Körpergröße und der goldene Kronreif auf seinem Haupt verliehen
ihm etwas Majestätisches. Axis’ weißes Hemd und rote
Hose ließen ihn geradezu überirdisch schön erscheinen.
Sternenströmer erkannte, daß das Klirren der Schwerter, der schwere Atem der beiden Kämpfer und das
Scharren ihrer Stiefel auf dem grünen Marmorboden
zusammen eine Musik erzeugten, wie er sie nie zuvor
vernommen hatte. Eine eigenartige Melodie, düster und
voll unguter Vorahnungen …
Der ikarische Zauberer erschrak, als ihm bewußt wurde, daß er den Nachhall des Todestanzes vernahm, der
Dunklen Musik der Sterne. Hatte Wolfstern etwa seine
Hand im Spiel und vor langem dafür gesorgt, daß es eines Tages zu diesem Zweikampf der beiden Brüder
kommen würde? War er sogar zugegen und schaute befriedigt oder belustigt zu? Sternenströmers Blick wanderte besorgt durch den Mondsaal, entdeckte aber nichts
außer den im Halbdunkel stehenden Zuschauern. Hatte
Wolfstern sich hier im Schutz seiner Tarnung eingeschlichen? Folgte er dem Kampf durch die Augen dieses Höflings dort oder jenes Stalljungen da?
Er konzentrierte sich wieder auf die Brüder. Daß sie
zu den Klängen der Dunklen Musik fochten, beunruhigte
ihn mehr als alles andere. Warum setzte die Prophezeiung Dunkle Musik ein, um ihren Willen durchzusetzen?
Gab es denn hier heute nacht keinen Platz für den Sternentanz?
Weiter verrann die Zeit, und ihr Verrinnen war begleitet
vom Klirren des Stahls und dem Stampfen der Stiefel.
Unwillkürlich hatte Sternenströmer begonnen, sich zum
Takt der Dunklen Musik zu wiegen. Nach links, nach
rechts. Nach links, nach rechts.
Axis und Bornheld spürten nun gleichermaßen die Erschöpfung in ihren Gliedern, die sie nach jedem dritten
oder vierten Schritt ausrutschen ließ. Ihr Atem ging rasselnd und schwer, ihre Gesichter und Oberkörper glänzten vor Schweiß, und ihre Arme wirkten, als hätte man
unsichtbare Bleigewichte daran gebunden. Beide hatten
Dutzende Verletzungen empfangen, doch Axis blutete
aus mehr Wunden als sein Bruder. Bornheld trug ein
dickes Lederwams, und das schützte seine Haut besser
als Axis sein weißes Hemd.
Doch zu keiner Zeit ließ der eine den anderen aus den
Augen. Sie hatten ihr ganzes Leben lang auf diesen Tag
gewartet, und jeder Hieb und Stich trug die Kraft des
Hasses und der Verachtung in sich.
Faraday konnte dem Kampf nicht folgen. Sie bekam
nur die Ausschnitte zu sehen, die die Vision der Bäume
ihr zu zeigen bereit war. Sie glaubte schon, vier Männer
rängen dort miteinander. Wann immer Axis sein Schwert
hob, schien ein Geist neben ihm die Bewegung nachzuahmen. Und wenn Bornheld zustieß, tat es ihm ein
Schemen gleich.
Die Zeit verrann, und die Musik ertönte weiter.
Axis taumelte vor Erschöpfung. Wie lang fochten sie
schon miteinander? Bornheld gewährte ihm keine Atempause und deckte ihn so mit Schlägen ein, daß er keinen
Moment zur Ruhe kam. Nicht ein einziges Mal wich er
so weit zurück, daß der Krieger zum Angriff übergehen
und seinen Bruder bis zur Aufgabe bedrängen könnte.
Der König schien über die Kraft und Ausdauer eines
Stiers zu verfügen. Sein Schwertarm stand keinen
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