Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
das Weite suchten, landeten die Ikarier auf dem
Boden, sammelten alle Pfeile ein, derer sie habhaft werden konnten, und stiegen rasch wieder in die Lüfte, ehe
die Geister zurückkehren konnten. Auch dieses Manöver
barg seine Gefahren. Denn die Skräbolde und Greifen
erkannten rasch die Vorgehensweise der Vogelmenschen.
Diese warteten dann ab, bis ausreichend Ikarier gelandet
waren und den Blick auf den Boden gerichtet hielten, um
dann zu einem flinken Überraschungsangriff anzusetzen.
Der Luftarmada blieb schließlich nichts anderes übrig,
als nur einen Bruchteil ihrer Schützen auf den Boden zu
schicken, während der Rest in der Luft blieb und die
Kameraden unten schützte.
Ho’Demi unternahm alles mögliche, um den Ikariern
Pfeile zukommen zu lassen. In den Arsenalen von Jervois
fanden sich Unmengen solcher Geschosse, die kaum
gebraucht wurden, weil Bornhelds Armee fast keine Bogenschützen hatte. So stahlen die Rabenbunder immer
häufiger Pfeile aus den Waffenkammern des Königs.
Durch den Schneeadler richtete der Häuptling den Vogelmenschen dann aus, wo sie die nächste Ladung abholen konnten. Dann fand meist zwei Meilen östlich von
Jervois ein geheimes Treffen statt. Wenn der Oberste
Heerführer jemals davon erfahren hätte, wäre das Leben
der ertappten Rabenbunder und ihres Häuptlings keinen
Pfifferling mehr wert gewesen.
Auch wenn die Ikarier an manchen Tagen nach stundenlangem Ringen glaubten, überhaupt nichts zu bewirken – denn für jeden erschossenen Skräling tauchten drei
neue auf –, erkannten die Bodenverteidiger schon nach
wenigen Tagen, wie sehr die Luftarmada ihre Lage erleichterte. Nach anderthalb Wochen Luftangriffen konnte
auch Bornheld den wertvollen Einsatz der Ikarier nicht
mehr als nutzlos abtun. Der Dauerdruck der Kreaturen
auf die Verteidigungsstellungen ließ spürbar nach und
erlahmte streckenweise sogar. Nur noch die Hälfte der
Eiswürmer erreichte die Kanäle. In der zweiten Woche
nur noch ein Viertel, und zur großen Überraschung der
Verteidiger gelangte in der dritten Woche nur noch einer
von zehn sein Ziel. Danach kam meist nur noch einer
durch, und der war eher lästig als bedrohlich.
Endlich konnten die Männer an der Fronst häufiger und
zahlreicher abgelöst werden. Wer seinen Dienst hinter sich
hatte, durfte für einen oder gar zwei Tage in die Stadt.
Doch noch hatten die Kämpfe ihr Ende nicht gefunden.
Selbst der konstante Einsatz der Luftarmada konnte die
Masse des Skrälingheeres nicht aufhalten, die in immer
neuen Scharen wispernd aus den Nebeln hervordrangen
und mit Schwert und Pike abgewehrt werden mußten. Doch
die Soldaten mußten nicht mehr ununterbrochen kämpfen.
Und in den Kampfpausen unterhielten sie sich über die
Ikarier, wenn auch immer noch vorsichtig, sobald sich
einer der höheren Offiziere zeigte.
So kannten die Achariten nach einigen Wochen nicht
nur viele Geschichten über die Ikarier, sie hatten auch
ausreichend Gelegenheit gehabt, diese zu beobachten.
Schon fragte sich so mancher, ob die Unaussprechlichen
tatsächlich so garstige Ungeheuer seien, wie der Seneschall nicht müde wurde zu verkünden. Und was konnte
Artor eigentlich einem Wunder wie dem Sternentanz
entgegenhalten? Waren die Axtkriege wirklich so gerecht
und notwendig gewesen, in denen man diese Wesen, die
jetzt so selbstlos zu Hilfe geeilt waren, erbarmungslos
aus dem Land gejagt hatte? Wie kamen die Vogelmenschen eigentlich dazu, ihnen jetzt Entlastung zu verschaffen, da sie doch von den Vorfahren der Achariten so
schändlich behandelt worden waren?
Als der Rabenmond anbrach, setzte sich allmählich die
Vorstellung durch, daß Jervois gehalten werden könne.
Langsam, sehr langsam wurden die Angriffe der Kreaturen schwächer. Zu viele von ihnen hatten im Pfeilhagel
der Ikarier ihr Leben verloren.
Und die Achariten, die ehrlich zu sich selbst waren,
gestanden sich ein, daß sie dem Eingreifen der Luftarmada ihr Leben verdankten.
Nach tausend Jahren verfolgten Ikarier und Achariten
wieder ein gemeinsames Ziel, obwohl die Wunden, die
man sich in den Axtkriegen zugefügt hatte, noch längst
nicht vernarbt waren.
Während der Wochen, in denen die Luftkämpfer fast
pausenlos über Jervois im Einsatz waren, war das Leben
auf Sigholt vollständig auf die Versorgung und Ausrüstung der Ikarier eingestellt worden. Viele der Flüchtlinge,
die aus Skarabost gekommen waren, fanden sich ein, um
den Vogelmenschen die Ausrüstung zu reinigen,
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