Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
Frau,
mit der sich ihr Vater am Hof gezeigt hatte.
Der ermüdenden Staatspflichten enthoben und auch
von unerwünschten Aufmerksamkeiten Bornhelds verschont, stand ihr nun sehr viel freie Zeit zur Verfügung.
Und sie wußte sie gar wohl zu nutzen. Faraday verbrachte manchmal halbe Tage im wunderschönen Garten von
Ur oder lustwandelte verzaubert durch die magischen
Wälder, die sich rings um den Heiligen Hain erstreckten.
Bei jedem Besuch stieß sie dort auf etwas Neues: eine ihr
bislang unbekannte Lichtung, ein Wesen von noch größerer Schönheit, als ihr bisher begegnet war, einen faszinierenden Berg, der seine ganz eigenen Geheimnisse zu
haben schien. Und am Ende fand sie sich immer in Urs
Garten wieder. Dann trat die Uralte aus ihrer Hütte oder
winkte ihr von der sonnigen Gartenbank zu. Faraday
lächelte zurück, begab sich zu ihr und erhielt eine weitere
lehrreiche Unterrichtsstunde.
Ur brachte ihr im wesentlichen die Namen und die Geschichten der mehreren Zehntausend awarischen Magierinnen bei, die in ihrem Garten als kleine
Baumschößlinge in winzigen Blumentöpfchen steckten.
Die alte Frau nahm dann immer einen von seinem Platz,
reichte ihn Faraday und berichtete ihr vom Leben der
betreffenden Zauberin.
Faraday fand bald heraus, daß sich ein besonderes
Band zwischen ihr und der Pflanze entwickelte, deren
Topf sie gerade in der Hand hielt und deren Geschichte
ihr Ur erzählte. So wurden sie Freundinnen, und Faraday
würde sie nie wieder vergessen. Da spielte es auch keine
Rolle, daß sie insgesamt zweiundvierzigtausend Namen
auswendig lernen mußte.
Die Zeit bei Ur und in ihrem Garten im Zauberwald
hatte für Faraday etwas Magisches. Diese Stunden heilten so manche Verletzung, die sie in der Vergangenheit
erlitten hatte, und sie verliehen ihr die Kraft, um sich
gegen weiteres Ungemach zu wappnen.
Ramu stöhnte und ächzte auf seinem Wagen. Er kauerte
sich unter seinen Umhang und mußte an sich halten, um
nicht laut zu schreien. Daß er noch nicht vollkommen
den Verstand verloren hatte, verdankte er vor allem den
drei Wächtern, die oft mit ihm fuhren und ihm halfen.
Ein jeder von ihnen trug mit seiner Magie dazu bei, ihm
die Pein zu lindern und die Umwandlung voranzubringen. Eigentlich sollte die Transformation nur einige Wochen dauern, sie schien sich in Ramus Fall aber doch
Monate hinzuziehen.
Vielleicht rührte das daher, daß der Zauberer sich so
weit von Awarinheim entfernt hatte. Was würde wohl
geschehen, fragte sich der Aware bang, wenn die Umwandlung hier draußen, fern der Heimat und der schattigen Wege Awarinheims, ihren Abschluß fände? So weit
fort von der Mutter und dem Farnbruchsee? Müßte er
dann unter der erbarmungslosen Sonne und dem Wind
auf der Seegrasebene verdorren und sterben?
»Warum gerade ich?« fragte er sich an einem Tag, als
die Schmerzen nachließen, nachdem Faraday den Heiligen Hain gerade verlassen hatte. »Warum bin ich so an
die Baumfreundin gekettet? Wieso verwandle ich mich
nur dann, wenn sie ihre Kräfte einsetzt?«
Jack wußte darauf eine Antwort: »Weil Ihr derjenige
wart, der sie mit der Mutter verband. Und Faraday hat
Euren Bund mit der Mutter erneuert. Vielleicht sind eure
Schicksale deswegen so eng miteinander verknüpft.«
Ramu zuckte ohnmächtig die Schultern. Sein Gesicht
war mittlerweile so entstellt, daß er es ständig unter der
Kapuze verbarg. Axis kam abends zu ihm und geleitete
ihn mit zauberischem Gesang und Harfenklang in den
Schlaf. Aber sonst konnte fast nichts Ramus Leid während dieser furchtbaren Umwandlung lindern.
Faraday war sich Ramus Schmerzen wohl bewußt. Jedes
Mal, wenn sie ihre Zauberkraft dazu gebrauchte, in den
Heiligen Hain und die magischen Wälder zu gelangen,
kam ihr sein Leid zu Bewußtsein.
Manchmal, wenn sie durch den Wald spazierte, fühlte
sie Ramus Schmerzen sehr deutlich. Sie wußte, daß er
sich verwandelte, und wünschte, sie könnte ihm helfen.
Schließlich wandte sie sich sogar an die Gehörnten und
fragte, was denn mit dem Ärmsten geschehe und ob sie
ihm helfen könne.
»Nein«, antwortete der Silberpelz, »Ihr könnt nichts
für ihn tun. Ramus Transformation verläuft anders, weil
er so stark an Euch gebunden ist. Und weil Ihr so starken
Zugriff auf die Macht der Mutter und dieses Waldes besitzt. Was soll ich Euch nun raten? Wartet, bis der Magier nach Awarinheim zurückfindet … oder zu einem
von seinesgleichen in Achar. Er muß bereit sein, den
Weitere Kostenlose Bücher