Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
daß er sie liebe. Er
hatte ihr viele Sachen gesagt. Er hatte es vielleicht angedeutet, aber die Worte selbst nicht ausgesprochen. »Außerdem war sie es ja, die bei den Alten Grabhügeln
einfach davongelaufen war, um Bornheld zu heiraten …
Wie kann Faraday da erwarten, daß ich den Rest meines
Lebens keusch und allein verbringe?« hielt er sich laut
zugute.
Er saß sehr lange auf ihrem Jungmädchenbett, rechtfertigte sich vor dem Zimmer dafür, sich mit Aschure
eingelassen zu haben, und bemerkte plötzlich eine Stoffpuppe, die mit verdrehten Armen und Beinen in einer
Ecke lag … und die rief ihm all das ins Gedächtnis zurück, was Faraday hatte durchmachen müssen. Viele
hatten sie herumgestoßen und für ihre Zwecke benutzt:
ihr Vater Isend, die Wächter, nicht zu vergessen die Prophezeiung und sogar Ramu. Und natürlich er selbst. Die
arme Faraday besaß ja überhaupt keine eigene Entscheidungsmöglichkeit über ihr Leben mehr. Wie die vergessene Stoffpuppe wartete sie darauf, daß irgend jemand
wieder in ihr Leben trat, um nach Lust und Laune mit ihr
zu verfahren.
»Du Mistkerl«, flüsterte der Krieger. »Wie kannst du
es wagen, eine Entschuldigung für deinen Betrug an Faraday zu ersinnen?«
Aber die grimmige Wahrheit blieb, daß er nicht einfach alles wiedergutmachen konnte, indem er Aschure
aus seinem Leben verbannte. Denn er liebte beide, wenn
auch auf unterschiedliche Weise. Und er wollte beide
haben.
Beide würden eben lernen müssen, sich damit abzufinden.
Seufzend erhob Axis sich. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, den Ort ihrer Kindheit aufzusuchen. Damit hatte er sein Gewissen nur noch mehr
belastet, und er hatte wirklich genug andere Dinge zu
tun, als sich auch noch mit Gewissensbissen herumzuschlagen.
»Faraday«, murmelte er, hob die Puppe auf, entwirrte
ihre Glieder und setzte sie gerade und bequem auf einen
Stuhl.
15 K ARLON
Bornheld starrte lieber aus einem Fenster seiner Privatgemächer im Palast von Karlon, als Jayme ins Gesicht zu
schauen.
Der Bruderführer war aufs höchste erzürnt und machte
daraus auch keinen Hehl. Welchen Sinn hatte es, diesen
… diesen Vollidioten auf dem Thron noch länger zu
unterstützen, wenn er beabsichtigte, das halbe Königreich
an Axis zu verlieren und nichts dagegen zu unternehmen?
»Er hat jetzt auch noch Skarabost eingenommen!«
schäumte der Kirchenfürst. Seine sonst eher beherrschten
Züge hatten sich vor Wut verzerrt. »Und jetzt marschiert
Euer Bruder auf die Farnberge zu. Arkness und Tarantaise werden ihm als nächstes in die Hände fallen. Wie lange wollt Ihr denn hier herumsitzen und ihn gewähren
lassen?«
Der König seufzte tief und beobachtete eine Krähe, die
langsam über den höchsten Mauern der Stadt kreiste.
Wenn er Jayme nur lange genug nicht beachtete, würde
er vielleicht einfach den Raum verlassen. Dieser lästige
Oberpriester ging ihm immer mehr auf die Nerven. Seit
nunmehr einem Jahr saß Bornheld auf dem Thron, und
die dunklen Machenschaften des Seneschalls, die ihm
dazu verholfen hatten, schienen ihm in weit entfernter
Vergangenheit zu liegen. Seitdem hatte die Welt sich
sehr verändert. Die Kirche hatte an Einfluß und Macht
verloren. Vielleicht war sich der Kirchenführer dessen
noch nicht bewußt.
»Ich sitze hier herum und lasse ihn gewähren«, gab
Bornheld jetzt barsch zurück, »weil mir keine andere
artorverdammte Wahl bleibt!«
Reichte das als Antwort? Nein, natürlich nicht. »Ich
habe länger in Ichtar und nördlich von Aldeni gekämpft,
als ich mich erinnern kann und möchte. Währenddessen
habt Ihr hier in der Hauptstadt wie eine Spinne im Netz
gesessen und den Hofstaat wie Puppen an Euren Fäden
tanzen lassen. Habt Ihr überhaupt eine Vorstellung davon, was auf dem Spiel steht? Worum es hier wirklich
geht? Verzeiht mir, Bruderführer, aber ich habe Euch
nicht auf den Zinnen von Gorken gesehen, als Ichtar
rings herum zusammenbrach. Und auch nicht knöcheltief
in Matsch und Schlamm in einem Graben vor Jervois, als
die Skrälinge in immer neuen Wellen heranbrandeten. Ihr
wißt doch überhaupt nicht, was es heißt, eine Armee zu
führen, deren Soldaten vor Erschöpfung und Mutlosigkeit schon halb tot sind!«
Jayme zuckte mit keiner Wimper, als der König aufsprang und ihm die letzten Worte ins Gesicht schleuderte. Groß und aufrecht stand der alte Kirchenführer da,
eine beeindruckende Erscheinung in seiner langen blauen
Amtstracht und mit dem
Weitere Kostenlose Bücher