Der Sternenwald
harten Realität stellen wollte.
Als junger Erstdesignierter hatte auch Cyroc’h viele Frauen geliebt, doch er zählte nur die Nachkommen des Adel-Geschlechts. Trotzdem erinnerte er sich kaum an Rusa’hs Mutter. Er hatte viele Kinder gezeugt und damit Werkzeuge für das Ildiranische Reich geschaffen – so wie auch er selbst nur ein Werkzeug war.
Und der Erstdesignierte Jora’h war jetzt das wichtigste aller Werkzeuge.
Wenn der Weise Imperator doch nur mehr Zeit gehabt hätte. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre.
Cyroc’h verfluchte seine Schwäche und den stechenden Schmerz – im Innern seines Schädels schienen Raubvögel das Gehirn zu zerreißen. Jora’h musste aus der naiven Selbstgerechtigkeit geschüttelt werden und seine Verantwortung wahrnehmen. So grausam das auch sein mochte – es war nötig. Der Weise Imperator hatte nicht genug Zeit für Anteilnahme.
Abrupt winkte er Bron’n zu. »Was mit dem Hyrillka-Designierten geschehen ist, sollte eine Warnung für uns alle sein. Unser Reich kann sich den Verlust eines nutzlosen, hedonistischen Designierten leisten, aber mein erstgeborener Sohn ist viel zu wichtig für das Überleben unseres Volkes. Ich kann nicht auch den Erstdesignierten verlieren.«
Cyroc’h beschloss, auch die Hinrichtung der beiden Ärzte anzuordnen, um ganz sicher zu gehen. Er selbst brauchte ohnehin keine ärztliche Hilfe mehr und sie konnten nichts für Rusa’h tun. Entweder erwachte der Hyrillka-Designierte von selbst und überlebte oder er starb im Subthism-Schlaf. Rusa’h spielte keine Rolle mehr.
»Bringen Sie mich zur Himmelssphäre, Bron’n. Ich werde heute Nachmittag Hof halten.«
»Fühlen Sie sich stark genug, Herr?«, fragte einer der Ildiraner des Mediziner-Geschlechts.
Cyroc’h bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Ich muss stark genug sein.«
Wenn der Erstdesignierte selbst zum Weisen Imperator wurde, offenbarten sich ihm alle Seelenfäden des Thism. Dann präsentierte sich seinem skeptischen Selbst das ganze komplexe Gespinst der Pläne. Wenn das geschah, würde er trotz seiner Unschuld die Notwendigkeit dessen begreifen, was sein Vater und die Weisen Imperatoren vor ihm getan hatten.
Dann würde Jora’h einsehen, dass es keine Alternative gab. Überhaupt keine.
102 NIRA
Seit Jahrhunderten hatte es auf Dobro keine so schlimmen Stürme und Brände gegeben. Nira kannte den Zyklus des zornigen Wetters seit inzwischen sechs Jahren und nutzte das, was sie als junge grüne Priesterin gelernt hatte, um die besondere Meteorologie dieses Planeten besser zu verstehen.
Über Monate hinweg bot Dobro ein angenehmes Klima, mit genügend Regen und leichtem Wind. Doch dann verschwanden die Wolken, die Luft wurde trocken und die grünen Hügel braun. Die während der Regenzeit prächtig gedeihende Vegetation trocknete aus und verwandelte sich in ein trockenes, leicht entzündliches Gestrüpp. Ein Funke genügte, um alles in Brand zu setzen und schwarze Rauchwolken aufsteigen zu lassen.
Als sich die Brände über die Hügelhänge ausbreiteten und die engen, geschützten Täler erreichten, verteilten sich die Arbeitsgruppen. Menschen und Ildiraner bekämpften das Feuer mit allen zur Verfügung stehenden Werkzeugen, aber trotzdem griff es immer mehr um sich.
Nira spürte längst keinen Schmerz mehr und Benommenheit überdeckte die Erschöpfung. Sie glaubte, das Gras und die Bäume schreien zu hören, als sich die Flammen näherten, und das imaginäre Wehklagen trieb sie an. Mit einer Art Schaufel schlug sie auf den Boden ein und kratzte trockenes Unterholz fort, damit das Feuer keine neue Nahrung fand.
Donnernd kamen die Flammen näher. Wind wehte, flüsterte in Niras Ohr und schrie am Himmel, trug Funken und Asche. Es war eine Sprache der Verzweiflung. Nira wandte sich an die anderen Menschen in ihrer Nähe und rief ihnen zu, wie sie am besten gegen das Feuer vorgehen sollten. Sie kannte viele von ihnen, vor allem jene, die dazu neigten, ihre Geschichten von anderen Welten zu glauben, und diese Männer und Frauen hörten jetzt auf sie. Die Flammen waren ein Feind, gegen den sie etwas ausrichten konnten.
Ruß und Rauch brannten in Niras Lungen. Ihre Augen tränten und hinterließen schmutzige feuchte Spuren auf den grünen Wangen. Ildiranische Aufseher forderten die Arbeiter auf, ihre Bemühungen zu verdoppeln, obgleich einige bereits erschöpft zusammengebrochen waren. Nira hingegen mobilisierte Kraftreserven, von deren Existenz sie bisher gar nichts
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