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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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zu. Er sah nicht einmal den Stuhl, der ihm im Wege stand, und er stolperte und hielt sich mit der Hand an der Kante meines Tischs fest. »Fowler«, sagte er, »kommen Sie mit raus!« Ich legte genügend Geldscheine auf den Tisch und folgte ihm. Ich hatte keinerlei Lust auf einen Zweikampf mit ihm, aber es hätte mir in jenem Augenblick nichts ausgemacht, wenn er mich bewußtlos geschlagen hätte. Wir haben so wenige Möglichkeiten, unser Schuldgefühl zu beschwichtigen.
    Er lehnte sich ans Brückengeländer, und die zwei Polizisten beobachteten ihn aus einiger Entfernung. Er sagte: »Ich muß mit Ihnen sprechen, Fowler.«
    Ich trat auf Schlagweite an ihn heran und wartete ab. Er rührte sich nicht. Er stand da wie eine symbolhafte Statue, die all das verkörperte, was ich an Amerika zu hassen meinte – so unschön wie die Freiheitsstatue und ebenso sinnlos. Ohne sich zu bewegen, sagte er: »Sie glauben, ich bin besoffen. Sie täuschen sich.«
    »Was ist los, Granger?«
    »Ich muß mit Ihnen reden, Fowler. Ich mag heute abend nicht mit den Franzosen dort drinnen sitzen. Sie sind mir nicht sympathisch, Fowler, aber Sie sprechen wenigstens Englisch. Eine Art von Englisch.« Im matten Licht der Lampen lehnte er dort, dick und unförmig – ein unerforschter Kontinent.
    »Was wollen Sie von mir, Granger?«
    »Ich kann Engländer nicht leiden«, sagte er. »Ich verstehe nicht, wie Pyle es mit Ihnen aushalten kann. Vielleicht liegt es daran, daß er aus Boston stammt. Ich bin aus Pittsburgh und stolz darauf.«
    »Warum auch nicht?«
    »Da haben wir’s ja wieder.« Er unternahm einen schwachen Versuch, meinen Akzent nachzuäffen: »Ihr redet alle wie Schauspieler. Ihr tut so verdammt überlegen. Ihr glaubt, ihr wißt alles.«
    »Gute Nacht, Granger. Ich habe eine Verabredung.«
    »Gehen Sie nicht fort, Fowler. Haben Sie denn kein Herz? Ich kann mich nicht mit den Franzosen dort drinnen unterhalten.«
    »Sie sind betrunken.«
    »Ich habe zwei Gläser Champagner getrunken, nicht mehr, und wären Sie an meiner Stelle etwa nicht betrunken? Ich muß nach dem Norden.«
    »Was stört Sie daran?«
    »Oh, habe ich es Ihnen noch nicht gesagt? Ich glaube immer, daß jeder es schon weiß. Heute früh bekam ich ein Telegramm von meiner Frau.«
    »Ja, und?«
    »Mein Sohn hat Kinderlähmung. Es geht ihm schlecht.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ihnen braucht es nicht leid zu tun. Es ist ja nicht Ihr Sohn.«
    »Können Sie nicht nach Hause fliegen?«
    »Das kann ich nicht. Sie wollen einen Bericht von mir über irgendeine verdammte Säuberungsaktion in der Nähe von Hanoi, und Connolly ist krank.« (Connolly war sein Mitarbeiter.)
    »Das tut mir wirklich leid, Granger. Ich wollte, ich könnte Ihnen helfen!«
    »Heute ist sein Geburtstag. Um halb elf Uhr abends nach unserer Zeit ist er acht Jahre alt. Deshalb arrangierte ich ein Sektgelage, bevor ich noch von seiner Erkrankung erfuhr. Ich mußte jemand mein Herz ausschütten, Fowler, und diesen Franzosen kann ich es nicht sagen.«
    »Heutzutage kann man bei Kinderlähmung schon viel machen.«
    »Es macht mir nichts aus, wenn er ein Krüppel bleibt, Fowler, wenn er nur am Leben bleibt. Ich – ich wäre als Krüppel verloren, aber er hat Verstand. Wissen Sie, was ich dort drinnen tat, während der Kerl sang? Gebetet habe ich. Ich dachte, wenn Gott schon ein Leben nehmen will, könnte er doch das meine nehmen.«
    »Sie glauben also an einen Gott?«
    »Ich wollte, ich täte es«, sagte Granger. Er fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht, als ob ihn der Kopf schmerzte, aber tatsächlich sollte die Geste verschleiern, daß er sich Tränen aus den Augen wischte.
    »Ich würde mir einen Rausch antrinken, wenn ich Sie wäre«, sagte ich.
    »Nein, nein, ich muß nüchtern bleiben. Ich möchte mir nicht später sagen müssen, daß ich stockbesoffen war in der Nacht, in der mein Junge starb. Meine Frau kann sich auch nicht betrinken, nicht wahr?«
    »Können Sie nicht Ihrer Zeitung mitteilen, daß …«
    »Connolly ist in Wirklichkeit gar nicht krank. Er ist nach Singapur unterwegs, hinter einem Weib her. Ich muß den Bericht für ihn machen. Wenn sie die Wahrheit wüßten, würden sie ihn rausschmeißen.« Er straffte seinen formlosen Körper. »Entschuldigen Sie, Fowler, daß ich Sie aufgehalten habe. Aber ich mußte es einfach jemandem sagen. Jetzt muß ich wohl hineingehen und die Trinksprüche in Gang bringen. Komisch, daß gerade Sie es waren, wo Sie mich doch nicht riechen

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