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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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nur Gutes sagen können.
    Meine Mutter öffnete mir die Tür mit einer Miene aus Eis und Essig. Mara schlief wohl schon im ersten Stock. Nicole saß mit untergezogenen Beinen auf der Couch vor dem Fernseher, bereits mit der Jacke bekleidet, Ranzen und Schuhe griffbereit vor sich auf dem Boden. Ihre Miene glich der büßenden Magdalena.
    »Können wir gehen, Mama, ich bin sehr müde.«
    »Fünf Minuten Zeit wirst du ja wohl noch haben«, warf Mutter zur Couch hinüber, dann saugte ihr Blick sich an mir fest.
    »Sag mal, was erzählt das Kind mir da für einen Unsinn? Gibt es Unstimmigkeiten zwischen deinem Bekannten und Herrn Genardy? Du wirst dir ja wohl keine Vorschriften machen lassen von einem Menschen, den du nur alle nasenlang mal zu Gesicht bekommst!«
    »Ich lasse mir von niemandem Vorschriften machen, Mutter.« Ob sie auf Anhieb verstand, weiß ich nicht. Es zuckte kurz auf in ihrem Gesicht. Achtung, Sigrid, jetzt kommt das: Sag mal, wie redest du denn mit mir? Aber das kam nicht, noch war Mutters entrüstete Neugier nicht besänftigt.
    »Was ist denn nun mit Herrn Genardy?«
    »Er gibt seine Wäsche nicht aus dem Haus«, sagte ich.
    »Das würde sich auch nicht lohnen, so viel ist es nämlich nicht. Den Rest erzähle ich dir bei einer besseren Gelegenheit. Ich muß jetzt wirklich los, sonst wird es für Nicole zu spät. Sie schläft ja fast im Sitzen ein. Und ich habe noch nicht zu Abend gegessen.«
    »Soll sie jetzt jeden Donnerstag bei mir warten, bis du heimkommst?«
    »Nein, das war eine Ausnahme heute. Nächste Woche vielleicht noch mal, wenn es nicht so läuft wie geplant. In vierzehn Tagen ist Anke ja sicher wieder daheim.« Ich hätte mir selbst applaudieren können für den nüchtern sachlichen Ton. Doch Mutters Miene war schon Applaus genug. Ich verabschiedete mich mit einem Lächeln von ihr. Nicole zog ihre Schuhe an, den Ranzen nahm ich.
    »Was hast du Oma erzählt?« fragte ich auf dem Heimweg.
    »Nichts, ich habe nur gesagt, daß Herr Genardy vielleicht wieder auszieht. Sie fragt mich doch immer nach ihm. Und Günther hat gesagt, er zieht bald wieder aus. Und bis er ausgezogen ist, soll ich den Stuhl unter die Klinke stellen. Aber von dem Stuhl habe ich Oma nichts gesagt, ehrlich.« Es war niemand im Haus, wie ein Blick durchs Garagenfenster zeigte. Sicherheitshalber nahm ich mir noch den Schlüssel fürs Garagentor aus dem Kästchen und ging nachsehen, während Nicole sich rasch die Zähne putzte. Kein altes grünes Auto. Sei dir deiner Sache nicht zu sicher, Sigrid, vielleicht steht es wieder in einer Querstraße. Na schön, um es mit Günthers Worten zu sagen.
    »Du brauchst heute keinen Küchenstuhl. Ich werde deine Tür von außen abschließen. Wenn du mal aufs Klo mußt, rufst du laut, ich höre dich schon. Und sag keinem Menschen, daß ich den Schlüssel habe, keinem, hörst du, auch Günther nicht. Das bleibt unser Geheimnis.« Nicole schlüpfte unter die Decke, sichtlich angetan von der Tatsache, daß wir jetzt ein Geheimnis hatten.
    »Warum müssen wir denn so vorsichtig sein? Was hat Herr Genardy denn gemacht?« flüsterte sie mit glänzenden Augen.
    »Er hat nichts gemacht. Er hat nur die Miete nicht bezahlt, deshalb möchte ich, daß er wieder auszieht.«
    »Meinst du, er hat gar kein Geld? Meinst du, er würde uns was klauen? Er wollte mir doch das Pferd schenken.« Nach zwei Sätzen voll Sensationslust klang die Enttäuschung durch.
    »Wenn er kein Geld hat, kann er dir auch das Pferd nicht kaufen. Schlaf jetzt. Vielleicht kaufe ich es dir. Nicht morgen und nicht nächste Woche. Wir müssen jetzt erst einmal ein bißchen sparsam sein. Aber irgendwann wird es wieder besser, das verspreche ich dir.« Als ich dann ihre Tür verschlossen hatte, ging ich nach oben. Ich klopfte nicht erst an, schloß gleich auf, trat ein, machte Licht in der Diele. Mein Herz schlug wie ein Dampfhammer, der Mund war ganz trocken. Doch das ging vorbei. Er war nicht da. In der Diele steckte ich dann den Schlüssel von innen in die Haustür, so war das Schloß von außen blockiert. Bis halb zwölf saß ich da und horchte. Ruhige Wohngegend, nur zweimal ein Auto in der Zeit. Und bei jedem näherkommenden Motorgeräusch das große Zittern, der Dampfhammer in der Brust. Ich wünschte mir fast, der Braune wäre noch einmal gekommen, um mir noch einmal zu zeigen, daß mir ein Tod bevorstand, wenn ich das Rätsel nicht löste. Wäre er gekommen, hätte er mir damit gezeigt, daß ich es noch nicht gelöst hatte.

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