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Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Titel: Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul McAuley
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zeigte ihr stolz den Schatz, den er entdeckt hatte: Den braunen Bogen eines menschlichen Rippenknochens, zweifellos von einem Opfer eines der Kriege, die im 21. Jahrhundert um die Öl- und Methanfelder im Weddellmeer ausgefochten worden waren. Als Sri hier angefangen hatte zu arbeiten, waren immer noch die Überreste alter Ölbohrplattformen im offenen Wasser zu sehen gewesen, und die Küste war voller gesunkener oder auf Grund gelaufener Tanker und Kriegsschiffe gewesen. Sie hatte eine Menge Gefallen einlösen müssen, um sie verschrotten und entfernen zu lassen, und hatte darüber hinaus noch vieles mehr getan, um die Halbinsel zu säubern. Sie hatte abgestürzte Flugzeuge und die Gerippe von Panzern und anderen Fahrzeugen abfahren lassen, eine Baracke und einen Friedhof entfernt. Und Bakterien aus eigener Herstellung
ausgebracht, die den riesigen, fauligen Ölteppich abbauen sollten, der sich in einem tiefen Graben dreißig Kilometer vor der Küste angesammelt hatte – die Quelle der harten Teerkuchen, die nach einem Sturm an die Küste angeschwemmt wurden. Aber in der Antarktis hatten viele Kämpfe stattgefunden, und die Kälte wirkte konservierend. Man konnte immer noch überall auf der Halbinsel auf Erinnerungen an die Kriege stoßen. Waffen und Munition, Kleider, Müll und Knochen – wie die Rippe, die Berry einem zerbrechlichen Dolch gleich in der Hand hielt.
    Sri wurde von einer Vorahnung erfasst, und sie sagte ihrem Sohn, dass er das düstere Andenken wegwerfen sollte. Dabei sprach sie mit so scharfer Stimme, dass er augenblicklich gehorchte, ohne zu widersprechen.
    »Unter dem Baumstamm liegt noch mehr«, sagte er.
    »Ich werde jemandem Bescheid sagen, der das wegräumen soll«, sagte Sri. »Lauf schon mal zum Haus und lass dir von der Haushälterin eine heiße Schokolade machen.«
    »Ich habe nichts Schlimmes getan.«
    Berrys Gesicht war zu einer finsteren Miene verzogen. Und Sri wusste, dass diese sich rasch in Tränen und einen Wutanfall verwandeln konnte. Sie ging auf ein Knie, umarmte den Jungen und sagte: »Ich weiß. Aber ich muss für ein paar Tage wegfahren, und in der Zwischenzeit musst du ein braver kleiner Soldat sein.«
    »Fährst du wieder nach Brasília? Kann ich dieses Mal mitkommen?«
    »Ich fliege zum Mond, und so gern ich dich auch mitnehmen würde – ich fürchte, das wird nicht gehen. Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Alder werde ich auch nicht mitnehmen. Also lauf ins Haus, schnell!«
    Während ihr Sohn auf das Haus zulief, ging Sri in die entgegengesetzte Richtung davon. Sie brauchte etwas Zeit
für sich. Sie wollte über die Konsequenzen des Ausbruchs und den Ruf nachdenken, den sie erhalten hatte, und sich überlegen, wie sie am besten darauf reagieren sollte.
    Sie verließ den Wald und folgte dabei einem Pfad, der sich an der Seite des Tals hinaufschlängelte bis hin zu einer mit Riedgras bewachsenen Heide. Sie wanderte über den Gipfel des Hügels, der nach Osten hin anstieg, und überquerte dabei Felder voller mit Flechten überwucherter Felsbrocken, bis sie schließlich bei einem breiten Plateau aus kahlem Felsgestein angelangt war, von wo aus man über den gekrümmten Arm des Fjords bis zur offenen See blicken konnte. Den kalten, klaren Wind im Gesicht und umwirbelt von einzelnen Schneeflocken konnte sie hier ihr gesamtes Reich überschauen. Das steil ansteigende Mosaik der Heide, das von der Falte des kleinen bewaldeten Tals sauber durchschnitten wurde. Der Glas-und-Stahl-Kasten ihres Hauses, der über die Westseite des Tals hinausragte, und der kleine Campus der Forschungseinrichtung, der sich an der Küste erstreckte, während sich im Hintergrund einige schneebedeckte Berge erhoben. Das dunkle Wasser des Fjords war mit Eisschollen übersät. Jenseits seiner schmalen Mündung segelten Flotten von Eisbergen über die weite See. Der graue Himmel war von drei vertikalen Linien durchzogen, so präzise wie die Pinselstriche in einem japanischen Druck. Die Linien liefen in winzige Schwaden aus, die in nördliche Richtung davonzogen: Rauch, der von Vulkanen aufstieg, die aktiv geworden waren, nachdem der lithostatische Druck der antarktischen Eiskappe nachgelassen hatte.
    Aber das Eis kehrte zurück. Jedes Jahr kam der Winter etwas früher in den Fjord und verabschiedete sich ein wenig später. In etwa fünfzig Jahren würde er die Gegend dauerhaft beherrschen. Alles, was Sri hier geschaffen hatte – der kleine Wald, die Heiden und Wiesen, die umherhuschenden
Eichhörnchen,

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