Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
über Schlichtung statt Versöhnung«, hatte er beim Abendessen zu Sri gesagt. »Beschwichtigung. Und darüber, wie man bei einem möglichen Krieg zwischen der Erde und dem Außensystem den politischen und wirtschaftlichen Schaden begrenzen könnte. Rainbow Bridge hat nie einen Krieg gewollt. Wir haben uns stets für den beiderseitigen Nutzen von Frieden und Kooperation eingesetzt. Aber das wird zunehmend schwieriger.«
Der Frieden war immer noch die beste Alternative und würde es auch bleiben, aber die Unterstützung dafür nahm auf beiden Seiten immer mehr ab. Rothco Yang hatte gesagt, dass keine der Städte des Außensystems, nicht einmal Rainbow Bridge, die Bedingungen annehmen würde, welche die radikalsten unter den radikalen Grünen der Erde forderten: vollständige Aufgabe der politischen und wirtschaftlichen Autonomie sowie die Beendigung der sogenannten antievolutionären Genmanipulation und der Erforschung der Außengebiete des Sonnensystems.
»Viele Mitglieder unserer Regierung sind nicht in der Stimmung, Zugeständnisse zu machen oder unsere isolationistische Position anzuerkennen«, hatte er gesagt. »Und zugleich sind zahlreiche Städte des Saturnsystems auf Konfrontationskurs. Sie glauben, dass die weite Versorgungsstrecke zwischen der Erde und dem Saturn feindliche Streitkräfte schwächen würde. Dabei sind sie sogar noch verwundbarer als wir. Ihre Städte und Siedlungen sind zerbrechliche Luftblasen in einer unbarmherzigen, lebensfeindlichen Umgebung. Es wäre nicht weiter schwierig, sie zu besiegen.«
Rothco Yang hatte erschöpft gewirkt. Sein unbeschwerter Optimismus war gänzlich verschwunden gewesen. Man hätte beinahe der Behauptung Glauben schenken können, dass er nach Rainbow Bridge zurückkehren musste, weil seine Gesundheit durch die Schwerkraft der Erde und die ungefilterte Luft gelitten hatte, obwohl es nur ein Vorwand war, mit dem die Außenweltler ihr Gesicht wahren wollten. Er und Sri hatten sich freundschaftlich voneinander getrennt, sich gegenseitig alles Gute gewünscht und versprochen, in Kontakt zu bleiben, aber sie hatten beide gewusst, dass sie ein zwar ehrenwertes, aber leider hoffnungsloses Unterfangen zu Grabe trugen.
Nein, die Zeit für Frieden und Versöhnung war vorbei. Sri erinnerte sich an eine andere, deutlich kürzere und weitaus unangenehmere Unterhaltung in Brasília. Sie hatte mit ihren Beratern und zwei befreundeten Wissenschaftlern während einer Pause in einer langen, von Streitigkeiten bestimmten Sitzung eines Subkomitees zu Fragen des Protokolls und der Ethik bei der Erforschung des menschlichen Genoms zu Mittag gegessen, als Euclides Peixoto an ihren Tisch getreten war. Der Schelm mit dem verborgenen Messer in der Tasche. Nachdem sie kurz über das Nachspiel des
Biomprojekts geredet hatten, fragte er Sri, welchem großen Projekt sie sich als Nächstes zuwenden wollte.
»Das ist nicht meine Entscheidung. Wie immer stehe ich Ihrer Familie bedingungslos zur Verfügung.«
»Tatsächlich? Ich weiß, dass Sie der Familie bisher stets bereitwillig gedient haben, weil unsere Interessen sich mit Ihren deckten. Aber ich frage mich, was Sie jetzt machen werden, da sich die Dinge verändern«, hatte Euclides Peixoto gesagt und hinzugefügt, dass er von nun an ihre Karriere mit großem Interesse verfolgen würde.
Sri wünschte sich, dass alle ihre Feinde so faul und dumm wären. So durchschaubar. Doch obwohl Euclides’ plumpe Drohung beunruhigend gewesen war, war sie auch eine nützliche Erinnerung daran, dass Sri bald eine Entscheidung treffen musste. Als sie nun auf dem Hügel über ihrer Festung der Einsamkeit stand, unter einem grauen und finsteren Himmel, während ihr der antarktische Wind in die Knochen fuhr, wurde ihr klar, dass sie sich bereits entschieden hatte. Sie hätte sich weigern können, zum Mond zu fliegen, und Oscar hätte sie wahrscheinlich vor den Konsequenzen schützen können, doch obwohl sie sich nicht ganz sicher war, ob sie die Reise überleben würde, war sie froh, dass sie fliegen würde. Eine kurze Zeit lang konnte sie sich vollkommen frei fühlen. Sie hatte die Vergangenheit abgeschüttelt und konnte dem Garten der Zukunft mit seinen sich verzweigenden Pfaden, wenn schon nicht mit Hoffnung, so doch mit Gelassenheit entgegenblicken.
Schließlich erregte ein heller Kratzer weit draußen über dem Ozean ihre Aufmerksamkeit. Er bewegte sich rasch vorwärts, kam von Norden her näher und beschrieb eine scharfe Biegung auf die Küste zu.
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