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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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guter Preis, und der Fuchs ist sehr schön. Ich kenne jemanden, der ihn abzieht. Wenn Sie in das Gasthaus mitkommen, treffen Sie ihn dort, sind Sie einverstanden? Gut. Warten Sie, ich verstaue ihn in meinem Kofferraum. Wenn Sie wollen, können Sie mit mir fahren.«
    Ascher bedankte sich. Er setzte sich, nachdem sie den Fuchs verstaut hatten, zum Jagdleiter auf den Vordersitz. »Ein schöner Abend«, sagte der Jagdleiter. Ascher blickte durch die staubige Windschutzscheibe. Vor der Sonne lag ein glühend goldener Wolkenschleier, und über den Hügeln und Bergen ging die Luft – als würde sie von einem farbigen Gas durchdrungen – vom Graublauen ins Zartgelbe über. Er griff nach einem Taschentuch und fand das Moos und die Vogelfeder und verspürte plötzlich eine Sehnsucht nach der Stille des Hauses, den Büchern und dem Mikroskop, aber er ließ sich nichts anmerken, sondern antwortete: »Ja, ein wunderbarer Abend, Sie haben recht.«
     

8
     
    Zu Hause betrachtete Ascher die Vogelfeder. Er hatte keine kräftige Schwungfeder genommen, sondern das Ende einer kleinen, leichten Flaumfeder. Er hörte nur das Metallgeräusch, als er mit der Schere das Endstück der Feder herausschnitt, das er dann zwischen Objektträger und Deckglas legte. Jedesmal, wenn er durch das Mikroskop etwas betrachtet hatte, hatte er anfangs den Gedanken gehabt, daß er zu achtlos war. Achtlos nahm er ein Hühnerei in die Hand, eine Blüte, Gräser, die Schuppen eines Fisches. Und doch, wie kompliziert alles aufgebaut war: zum Beispiel Salzkörner und Schwefelblüten oder ein Tröpfchen Honig. Er hatte früher Vergnügen daran gefunden herauszufinden, welche Art von Blütenstaub sich im Honig befand. Um sicher zu sein, hatte er Vergleichspräparate von Pollenkörnern angelegt, die er bald auswendig kannte. Er wußte jetzt noch, wie sie unter dem Mikroskop aussahen: Der Blütenstaub der Sonnenblume hatte die Form von stacheligen Kugeln (ähnlich Roßkastanien), das Wiesenschaumkraut war rund und von wabenförmigen Zellen unterteilt, während aus den Pollenkörnchen der Weidenröschen feine, sich verschlingende Fädchen wuchsen. Am Vorkommen der Pollenkörnchen konnte er feststellen, woher der Honig stammte. Er hatte Insektenflügel, Menschenhaar, Schmetterlingsschuppen und Zwiebelschalen betrachtet. Beim Präparieren der Schmetterlingsschuppen hatte er sich vor dem kleinsten Staubkörnchen in acht nehmen müssen. Er hatte etwas Deckglaslack auf einem Objektträger trocknen lassen, die Schuppen – indem er mit einem feinen Pinsel über den Flügel gestrichen war – abgenommen und sie durch Abtupfen des Pinsels auf das Glas gebracht. Die Flügel waren pelzige Stoffe gewesen mit den feinsten Farbschattierungen und Härchen an den Rändern. Auch ganze Insekten hatte er in seiner Sammlung gehabt, er hatte Mücken in Tablettengläschen gefangen, die mit 70%igem Alkohol gefüllt waren und die frischen Präparate sorgfältig mit einem halben Bleikügelchen aus Anglerarsenal beschwert. Unter dem Mikroskop hatten sie dann in Bernstein eingeschlossenen fremden Lebewesen geähnelt. Wunderbar war auch der Kopf einer Bremse, der trug viele Einzelaugen, deren komplizierten Bau er in Schnittpräparaten erkennen konnte. Sie sahen aus wie feinstmaschige kleine Siebe, die in einen gelenkartigen, knöchernen Saugschnabel zu münden schienen. Als er jetzt die Vogelfeder unter das Mikroskop schob, erinnerte er sich daran, wie er einmal die Larve einer Büschelmücke in den Fangarmen eines Süßwasserpolypen beobachtet hatte. Der Süßwasserpolyp hatte versucht, sie zu fressen, doch der Bissen hatte seine Fassungskraft überstiegen, er hatte die Beute wieder fahrenlassen müssen, die Larve war jedoch am Gift der Nesselkapsel zugrunde gegangen. Sie war gelblich durchsichtig gewesen wie Fruchtgelee, der Kopf hatte einer aufgeschnittenen Birne geähnelt, deren Kerne die dunklen Augen und deren Stengel der winzige Schnabel gewesen waren. Er seufzte und betrachtete das Federstückchen. Vom Hauptast gingen Seitenäste aus. Jeder von ihnen trug feine Fortsätze mit einer Anzahl Häkchen, die ihn mit dem Nachbarast in eine feste Verbindung brachten. Erstaunlich war, daß er diese Verbindung, wenn er sie gewaltsam löste, schon durch leises Streichen wieder in ihre ursprüngliche Ordnung bringen konnte. Er setzte sich zurück und drehte an der Versteilschraube.
    Der Fuchs hing jetzt wahrscheinlich noch immer im Vorraum des Bauern, zu dem sie ihn gebracht hatten. Eine breite

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