Der stille Ozean
Holztreppe führte von dort zum Dachboden. Von einer der Stufen war das frischabgezogene Fell eines anderen Fuchses zum Trocknen gehangen. Der Bauer hatte zum Jagdleiter, der mit ihm gekommen war, gesagt, es sei ein schöner Fuchs, und hatte ihn in eine Kiste mit Äpfeln unter die Treppe gelegt.
»Er ist gesund«, hatte er gesagt. »Außerdem hat er schon das Winterfell, das ist gut, dadurch hält er länger. Wenn er das Winterfell trägt, ist seine Haut innen weiß, sonst blaurot.« Morgen, so hatte er gesagt, würde er ihn abziehen, und in ein paar Tagen würde er getrocknet sein. Ascher drehte das Licht ab und ging zu Bett. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er die Schere, den Wasserkrug, den er nicht benutzte, das Mikroskop. Das Gewehr und die Pistole fielen ihm ein, und er überlegte sich, sie wieder zu verkaufen. Manchmal spielte er mit dem Gedanken, sich zu töten. Er stellte sich vor, daß er die Pistole in die Hand nahm, an den Kopf legte und abdrückte. Dann traten andere auf. Er bezog die Menschen, die ihn finden würden, in seine Vorstellung mit ein, Menschen, die er kurz zuvor zum ersten Mal gesehen oder kennengelernt hatte. Manchmal schämte er sich wegen Katharina, oft aber war sie in seinen Gedanken so weit weg, daß es ihm schien, sie würde ihr Leben unverändert weiterführen. Auch von Therese dachte er so.
Er war zu müde, seine Gedanken weiterzuverfolgen. Es kam ihm vor, als gelte es nur, die Dunkelheit hinter sich zu lassen.
9
Am nächsten Morgen weckte ihn Golobitsch mit der Bitte, daß er den Mais seiner Lebensgefährtin auf den Dachboden schütten und den eigenen im Haus schälen dürfe. Ascher fühlte sich durch die Bitte bedrängt, der Gedanke aber, nicht allein zu sein, tat ihm wohl. Nach dem Mittagessen betrat er Zeiners Haus. Auf dem weißen Kachelherd, der mit einem Muster aus Rosenblüten und -blättern verziert war, kochte in einem Blechtopf Wasser. Der Schwiegervater Zeiners sah ihn mit unverhüllter Neugierde an. Ascher, der Zeiner bitten wollte, ihn am Freitag zur Bahn zu bringen, denn er hatte die Absicht, über das Wochenende und zur Wahl in der Stadt zu sein, fragte nach Zeiner, der Alte schüttelte jedoch den Kopf. Seine Augen waren blau, und die Augäpfel waren wie die Nase von feinen Äderchen durchzogen. Es war still, nur die Waschmaschine, die in einer Ecke stand, summte. Die Tür wurde aufgerissen und eines der Kinder Zeiners lief in die Küche und wieder hinaus. Auch Zeiners Frau kam aus dem Stall. Sie war groß und dunkel, aber ihre Heiterkeit machte Ascher unsicher, denn er verstand ihr Lächeln oder die zum Lachen gehobenen Augenbrauen, sobald sie ihm eine Auskunft gegeben hatte, nicht. Als Ascher schon gehen wollte, fragte ihn der Alte, wer er sei. Er stellte ihm weitere Fragen, bis er von seinem eigenen Leben zu erzählen anfing, und Ascher hatte das Gefühl, daß er ihn nur ausgefragt hatte, um selbst erzählen zu können. Ohne zeitliche Ordnung reihte er eine Begebenheit an die andere. Seine Frau, mit der er drei Töchter gehabt hatte, war schon lange tot. In seinem Zimmer hatte er einen Geigenkasten aus braunem Holz, den er von einem Kind holen und Ascher zeigen ließ. Er selbst stand während des gesamten Gesprächs nicht auf. Sprach er von etwas, was er Ascher zeigen wollte, so wartete er, bis ein Kind oder Zeiners Frau seinen Wünschen nachkamen. Auf der Innenseite des Koffers klebte eine blauschwarze Tapete, der Steg der Geige war reich mit Blumen aus Perlmutt verziert. Der alte Mann ließ Ascher durch den geschwungenen Ausschnitt im Holz in die Geige blicken. »Lesen Sie, was da steht!« sagte er. Auf dem Boden entdeckte Ascher einen vergilbten Zettel, darauf stand in Druckbuchstaben: »Nicolaus Amatus, fecit in Cremona 16«, und mit der Hand war die Ziffer 37 oder 87 hinzugefügt.
»Sagen Sie«, sagte der alte Mann, »was Sie davon halten.« Ascher antwortete, in der Geige stünde, daß es eine Amatigeige sei. Der Mann nickte. »Sie ist viel wert, nicht wahr? Man glaubt es mir nicht.« Tatsächlich handele es sich um keine Fälschung. Er sei italienischer Abstammung und heiße Silli. In seinem Zimmer hing eine große, ovale Fotografie, auf der seine Frau abgebildet war. Ein Mantel lag auf seinem Bett, mit dem er sich in der Nacht zudeckte. Der alte Mann redete weiter auf ihn ein. Er sprach jetzt vom Haus, in dem sie gerade saßen. Bis 1922 sei es ein Gasthaus gewesen, dann sei jemand in der Küche erstochen worden, und
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