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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Spindel nahmen jedoch fast den ganzen Raum ein. Vogelflügel schwirrten in den kahlen Weinranken, als er am Haus vorbeiging. Im Schweinestall war es still. Er kam am Brunnen vorbei und konnte nun weiter hinunter in den Graben blicken, in dem brauner, vertrockneter Mais im Schnee stand. Die beiden Alten stritten sich gerade in der Tenne, während sie an einem Holzblock sägten. Ascher rief ihre Namen, aber sie hörten ihn erst, als er schon ganz nahe war. Die Frau trug eine große, geflickte Lederjacke und lief vor ihm davon. Der Mann riß seinen Hut vom Kopf, dann die Wollhaube, die nur Augen, Nase und Mund freigelassen hatte, stopfte sie in die Hosentasche und drehte sich wieder, den Hut auf dem Kopf, ihm zu.
    »Wie ich ausschaue!« rief er vorwurfsvoll. Ascher verstand jedoch nicht, was er sagte, erst nachdem der Mann seine Bemerkung mehrmals wiederholt hatte, begriff er, daß sich die beiden vor ihm schämten. Auf dem Sägebock lag ein hölzerner Trahm, und er erkannte das Blumenmuster wieder, das er im alten Haus gesehen hatte. Aus dem Trahm standen winzige Holzplättchen, er beugte sich hinunter, um sie näher anzuschauen, und er erfuhr, welche Bewandtnis es damit hatte, nämlich, daß der Verputz daran haftenbleiben soll. Die Konstruktion war so sinnvoll und einfach, die Arbeit so genau ausgeführt, daß Ascher für einen Moment bedauerte, daß die beiden den Trahm zersägten. Der Mann sah ihn fragend und stumm an. Seine Zähne waren gelb und nur in Bruchstücken vorhanden. Ascher war aufgefallen, daß viele Leute schlechte Zähne hatten. Sie ließen sie im Mund verfaulen, bis sie abbrachen. Auch Frauen ohne Zähne hatte er gesehen. Das machte nicht so viel aus wie in der Stadt, denn hier heroben war man den Anblick gewöhnt. Zähne fielen aus, wie Haare ausfallen konnten, das war nichts Besonderes. Von den Alten hatte früher niemand falsche Zähne gehabt. Einige hatten sich die Prothese in Jugoslawien machen lassen, weil das billiger kam, denn einen Teil der Kosten mußten sie selbst bezahlen. So ließen es manche bleiben. Die Vierzig- und Fünfzigjährigen nahmen es zumeist schon genauer, aber auch nicht alle. Ihm war aufgefallen, daß viele Gebisse nicht sorgfältig genug angepaßt oder gearbeitet waren. Manche rutschten beim Sprechen oder klapperten im Mund, manche waren so schlampig gemacht, daß man schon von weitem erkennen konnte, worum es sich handelte. Da alle schlecht gearbeitete Gebisse hatten und niemand darüber klagte, brauchten die Zahnärzte sich offensichtlich nicht anzustrengen. Mit den Brillen verhielt es sich ähnlich. Auf dem Feld oder bei der Jagd hatte er niemanden gesehen, der eine getragen hatte. Es gab ältere Leute, so hatte man ihm erzählt, die sie auf dem Fetzenmarkt kauften. Sie setzten sie dort auf, und konnten sie besser sehen als ohne Brille, so bezahlten sie zwanzig oder dreißig Schilling dafür. Andere hatten sie geerbt. Viele aber lebten einfach mit schlechten Augen und nahmen es hin. Denn das Lesen von Zeitungen war zumeist auf die Jüngeren beschränkt. Die Älteren setzten sich lieber in das Kaufhaus, am Abend sahen sie fern, und da der Empfang häufig schlecht war und die Geräte zumeist Schwarz-Weiß-Apparate und alte Modelle waren, fiel es nicht weiter auf, wenn die Bilder verschwommen waren. Die Frau war inzwischen mit einem grünen Pullover, einer sauberen Schürze und einem frischgewaschenen Kopftuch zurückgekommen. Ascher fragte sie, ob sie ihm Eier verkaufen könne, und sie antwortete, sie habe selbst nicht viele. Er möge ihr aber in das Haus folgen. Der Mann versuchte jedoch, die Frau zu hindern, mit Ascher das Haus zu betreten, was er zuerst nicht verstand. Als er aber den Mann mit gesenktem Kopf zum Keller gehen sah, begriff er. Golobitsch hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die beiden die Ärmsten der Umgebung waren. Sie gehörten zu den wenigen, die keinen elektrischen Strom hatten. Im Stall standen zwei Kühe und ein mehr als fünfundzwanzig Jahre altes Pferd. Im Frühjahr, wenn der Mais angebaut wurde, kam ein junger Bauer mit einem Traktor und verrichtete die Arbeit um ein paar hundert Schilling.
    Die Frau öffnete die Holztür. Im Vorraum, dessen Boden die nackte Erde war, saß ein dicker, gefleckter Hund neben einem Strohbesen und bellte. Auf abgestellten alten Kästen hockten Hühner. Der einzige Raum, den die Frau mit dem Mann bewohnte, war dunkel. Zwei Petroleumlampen hingen an der Wand. Die Betten standen nebeneinander in einer Ecke und

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