Der stille Ozean
eingezahlt habe, vom Mund abgespart, nun bekomme er eine Rente von 4400 Schillingen. Es sei schön, im Alter keine drückenden Sorgen zu haben. Aber so gerne der Landarbeiter von seinem Leben erzählt hatte, war er kaum über dürre Aufzählungen von Namen und Begebenheiten hinausgekommen. »Im Winter war es sehr kalt, da hat es mir fast die Hände abgefroren«, »die Arbeit war so hart, weil die Hügel steil sind«, »im Sommer haben mir vor Hitze und Anstrengung die Augen geflimmert. Schon um drei Uhr haben wir mit dem Mähen angefangen, weil es zu Mittag zu heiß wurde«, waren die wenigen persönlichen Bemerkungen geblieben. »Dann bin ich dort und dorthin gegangen, soundso viel habe ich gekriegt«, mehr hatte er nicht ausdrücken können. Vom Rest waren nur noch Erinnerungen geblieben, die sich in einem Satz zusammenfassen ließen. Es hatte für Ascher geklungen, als hätte alles seine Richtigkeit gehabt, tatsächlich aber mußten die einzelnen Augenblicke so viel Kraft gekostet haben oder so angefüllt gewesen sein mit automatischen, in Bewußtlosigkeit ausgeführten Tätigkeiten, daß es keine genauere Erinnerung daran mehr gab als einige, wenige Begriffe und das Bewußtsein, gelitten zu haben. Durch die offene Haustür hatte Ascher inzwischen ein Auto vorfahren gesehen, das vor dem Hochspannungsmast an der Auffahrt hielt. Hofmeister kam in weißem Hemd und Krawatte und Hosenträgern aus dem Schlafzimmer, begrüßte Ascher und den Landarbeiter und stellte sich auf die Hausstufe. Er war unruhig und lief wieder zurück in das Schlafzimmer, von wo er vollständig angezogen herauseilte und auf die Verwandten zulief, die in Seidenpapier eingewickelte Pakete mit Geschenken für das Brautpaar mitbrachten. Die Verwandten traten langsam in den Vorraum, und Ascher und der Landarbeiter standen auf, um sie zu begrüßen. Das nahm längere Zeit in Anspruch, denn inzwischen führte der Bräutigam einen Teil des Besuchs in den Keller, um die Blumen für die Braut zu zeigen, und Hofmeister und seine Frau servierten noch vor der Haustüre Wein. Die Frau sprach kaum ein Wort, nickte, hielt den Gästen und Ascher ein Tablett mit Krapfen hin und verschwand wieder. Am Klosettfenster sah Ascher, als er seine Notdurft verrichtete, den kopflosen Körper einer Biene. Auf dem Weg zurück in das Vorzimmer sprach ihn Hofmeisters Frau an, hielt Krapfen und einen frischgefüllten Glaskrug in der Hand und forderte ihn auf zu essen. Dann erklärte sie, daß ihr Gebiß nicht rechtzeitig zur Hochzeit fertig geworden sei, nun stünde sie ohne Zähne da und dürfe weder sprechen noch lachen. Daraufhin lachte sie, auch Ascher lachte. Lachend gingen sie in den Vorraum, in dem bereits Kinder mit bunten Kleidern herumliefen. Vom Hof hörte Ascher den Wind in den Zwetschgenbäumen, ein Hahn krähte, und eine schwarz gekleidete alte Frau führte den Sohn spazieren. Weitere Gäste hatten bunteingewickelte Pakete gebracht, die dem Bräutigam oder der Braut in der Tür übergeben worden waren. Alte Frauen mit Kopftüchern saßen auf der Sitzbank im Vorraum, Männer in Nadelstreifenanzügen und mit Wasser frisierten Haaren standen – die Glaskrüge in der Hand – in Gruppen beisammen. Hofmeister, der Ascher allein stehen sah, führte ihn vor das Haus und zeigte ihm seine zahme Elster, die in aufgeschichteten Brennholzstauden saß und Ascher unfreundlich ansah. »Sie beißt, wenn man ihr zu nahe tritt, es ist besser, wir bleiben stehen, wo wir sind, Herr Ascher«, sagte Hofmeister. »Nur, wenn sie hungrig ist, ist sie umgänglich. In diesem Fall kommt sie sogar in das Haus und verlangt, daß man sie beachtet. Hat sie gegessen, setzt sie sich wieder im Freien auf den Holzstapel oder den Gartenzaun oder in den Weingarten auf der anderen Seite der Straße. Sie fliegt nicht davon. Nicht einen Versuch hat sie unternommen, seit wir sie füttern.«
Im Vorraum erzählten die jungen Frauen, daß die Braut dabei sei, in das Kleid zu steigen. Sie zittere so stark, daß sie sich niedersetzen müsse. Hofmeister lächelte Ascher zu und erklärte ihm, daß normalerweise die Braut vom Bräutigam abgeholt werde, aber sein Sohn und dessen Freundin wohnten seit längerem zusammen, außerdem hätten sie schon in der Vorwoche standesamtlich geheiratet, gefeiert werde aber erst nach der kirchlichen Trauung. »Wie es üblich ist«, schloß er.
Gerade kam die Musikkapelle zu Fuß in den Hof, stellte sich in Mänteln und mit Hüten auf und begann zu spielen. Die
Weitere Kostenlose Bücher