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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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eines Salamanders, das Astholz einer Föhre, den Kopf einer neugeborenen weißen Maus, den Längsschnitt durch ein Weizenkorn und anderes. Er legte sie unter das Mikroskop, zuletzt die Roßkastanienknospe, in der er silberweiß auf rotem Grund den Blütenstand sehen konnte. Hatte er sich verraten, als er dem Bergarbeiter recht gegeben hatte? Hier, allein in seinem Zimmer, war die Sicherheit verschwunden. Es kam ihm vor, als suchte er nach einer Haltung, die es ihm für eine Weile gestattete, schwach zu sein. Nun hatte er etwas verloren, auch wenn es nur ein Hirngespinst gewesen war, zu dem er Zuflucht genommen hatte. Er trat ans Fenster und sah die Sterne funkeln.
    Als er erwachte, lag ein gelber Himmelsstreifen über den Bergen. Er schaute schläfrig in das Licht, das so friedlich und schön, wie aus einer unverletzbaren Welt kam. Dabei wurde er ganz ruhig und schlief ein. Gegen neun Uhr erwachte er wieder. Jetzt hatte sich eine silbergraue Wolkendecke über dem Himmel ausgebreitet, in den Gräben lag weißer Nebel. Nachdem er sich angekleidet hatte, fand er in den Mausefallen zwei erschlagene Mäuse, die er hinter den Schweinestall warf. Dann hörte er Golobitsch mit seinem Motorrad kommen, der ihm versprach, die Ritzen zwischen dem Boden und der Wand in der Küche und auf dem Dachboden mit Glaswolle zu verstopfen. Ascher gab ihm Geld dafür, und Golobitsch nahm ihn auf dem Motorrad bis zur Witwe mit. Dort traf er jedoch niemanden an. Aus der Luft hörte er Vogelschreie, die klangen, als würden Glaskugeln aneinander gerieben. Die Weinranken, die an der Bretterwand zur Presse hinaufgewachsen waren, sahen vertrocknet aus. Ascher schaute hinter das Haus. Der Hund lag zwischen zwei Fässern, sprang auf und leckte ihm die Hand. Er trat an das Fenster, versuchte in das Haus hineinzublicken, erkannte aber nur, daß niemand in der Küche war. Eigentlich machte es ihm nichts aus, denn er hatte nichts Bestimmtes vorgehabt. Er ging bis zum Kaufhaus und trank mit Mineralwasser gemischten Wein. Einmal hielt der orangefarbene Schulbus an, und der Fahrer verschwand hinter dem Gastraum, um zu telefonieren. Die Straße vor dem Kaufhaus war asphaltiert, auch der Parkplatz. Lautlos veränderten sich die Wolken über den Dächern der Häuser. Ascher legte einige Münzen auf den Tisch und ging dann über eine Wiese in den Graben. Als er beim alten Haus vorbeikam, hörte er, daß Ziegel vom Dachstuhl fielen und mit stumpfen Geräuschen aufschlugen. Manchmal zerbrach einer mit einem hellen Ton. Ein Mann deckte mit einem langen Stock von innen das Dach ab. Zwei Wände der Küche waren abgetragen, die Holztrahmen lagen aufgeschichtet vor dem Haus. So konnte Ascher von außen den verfallenen Herd sehen und eine Tür, die zu einem Zimmer führte. Er hörte den Mann sprechen. »Morgen wird die Küche fertig abgetragen und weggeführt.« Ascher blickte sich um: Der Mann sprach mit ihm. Er blieb stehen und sah zu, wie die Ziegel über das Dach rutschten und zu Boden fielen und langsam immer größere Teile der Dachbalken freigelegt wurden.
    »Die Tür«, fuhr der Mann fort, den er nicht sehen konnte, »hat mir der Architekt abgekauft. Er ist zu mir gekommen und hat sich nach der Tür erkundigt. Ich habe ihn gefragt, wozu er eine Tür brauche. Für sein Haus, hat er gesagt. Da habe ich sie ihm gegeben.« »Ja«, sagte Ascher.
    »Ich wohne unten in der Ebene«, fuhr der Mann fort. »Das Haus habe ich geerbt. Im Frühling bringe ich meine Kühe herauf und lasse sie bis zum Herbst hier.« Er hatte zu stochern aufgehört, und seine Stange stand jetzt ruhig in der Luft. Da Ascher nichts sagte, fing er wieder an, die Ziegel hinunterzuschubsen.
    Im Graben war der Weg morastig. Schon von weitem hörte er einen Hund bellen und röcheln. Als er das Haus erreichte, stellte er fest, daß der Hund eingesperrt war. Dort, wo die alte Frau (als er mit Golobitsch zum Fischteich gefahren war und das Gewehr ausprobiert hatte) Kürbisse geschält hatte, lagen jetzt unter einer Nylonplane Kohlen. Das dunkelbraune Holzhaus war noch von Schnee umgeben, denn hier war es schattig. Durch den Schnee führten ausgetretene Wege, in denen Hühner vor ihm davonliefen. Er suchte die alte Frau und den Mann und schaute zuerst in die Presse. An einem Nagel hing ein Mantel, an anderen waren Anzüge und Kleider aufgehängt. Es war dunkel und Aschers Augen hatten sich erst daran gewöhnen müssen. In einer Ecke lehnte ein Fahrrad, der große Preßbalken und die schraubenförmige

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