Der stille Ozean
Wasser war schwarzgrün. Wenn man längere Zeit hinstarrte, konnte man Frösche und Kröten schwimmen, Wasserkäfer untertauchen und einen Fisch aufspringen sehen. Bei jedem Schritt raschelte das vertrocknete Gras. Auf einem schmalen Brett balancierte Golobitsch zum Wasserausfluß und versuchte den Holzpfropfen herauszuziehen. Er verwendete dazu die Holzstange, an der der Rechen befestigt war. Der Pfropfen war jedoch so fest im Abflußloch eingeklemmt, daß Golobitsch beim Versuch, ihn mit Gewalt herauszuziehen, den Rechen abbrach, der im dunklen Wasser versank. Ascher hatte sich neben den Sack mit den Waffen gestellt und sah Golobitsch zu. Noch immer hatte er den Eindruck, ein Fossil zu sein. Er hatte einmal den Gesteinsabdruck einer Sumpfzypresse – taxodium dubium – in der Tschechoslowakei gesehen. Damals hätte er nie daran gedacht, daß er sich einmal damit identifizieren würde. Auch Abdrücke von fossilierten Eichenblättern und Baumfarnen hatte er gesehen. Er bückte sich nach dem Gewehr, nahm eine Flobertpatrone aus der Schachtel, steckte sie in den Lauf, legte den Sicherungshebel um und zielte auf einen Baum. Der Schuß klang gedämpft; Golobitsch, der sich inzwischen bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte und Anstalten machte, in das Wasser zu steigen, blickte in die Richtung, in die Ascher geschossen haben mußte. »Nichts?« fragte er. »Nein.«
Golobitsch zuckte mit den Schultern und stieg in das eiskalte Wasser. Er fröstelte. Ascher lud das Gewehr und wartete darauf, daß im Algenschleim am Ufer ein Frosch auftauchte, auf den er zielen konnte. Sogleich aber verwarf er den Gedanken. Er hatte kein Recht zu töten. Er, ein fossilierter Krebs, dessen Geschichte lastend in Form von tektonischen Erinnerungsschichten auf ihn drückte. Alles lag weit hinter ihm. Hier herunten, am Ufer des kleinen Teiches, spielte nichts eine Rolle. Golobitsch, der sich auf das Abflußgatter gelegt hatte und mit der abgebrochenen Stange im Wasser herumstocherte, glitt, ohne einen Laut von sich zu geben, bis zur Brust in den Teich und zerrte, nach vorne gebeugt, am Holzpfropfen. Eine große Libelle sirrte über das Wasser, eine Amsel schnatterte, und im selben Augenblick, in dem er den nachgebenden Pfropfen aus dem Wasser riß, wobei er beinahe nach hinten gestürzt wäre, strömte von der Unterseite des Teiches rauschend dunkelbraunes, schmutziges Wasser in den Wald. Er beeilte sich, ans Ufer zu kommen. In der einen Hand hielt er den abgebrochenen Rechen, in der anderen den großen hölzernen Pfropfen mit dem Eisenring. Der Pfropfen war von Erde und Nässe schwarzgrün, der Eisenring verrostet. Unter dem Wehr legte er, nachdem er sich angezogen hatte, einen zweiglosen Ast quer, dann hackte er Fichtenäste ab und steckte sie so vor den Zweig in die Erde, daß sie das Wasser zwar durchlassen würden, nicht jedoch die Fische.
Jetzt sah Ascher einen jungen Burschen, einen Hut auf dem Kopf, eine Zigarette im Mund, daherkommen. Er stellte sich zu ihnen und sagte nichts. Golobitsch fragte ihn, ob er einmal schießen wolle, und der Bursche ließ sich von Ascher das Gewehr geben, lud es und suchte nach einem Ziel. Aus einem Baum flog eine Schar Vögel auf. Der Bursche zielte sorgfältig, aber als er geschossen hatte, fiel nichts zu Boden. Daraufhin legte er das Gewehr zurück auf den Jutesack. »Ohne Schrot sind Vögel schwer zu treffen«, sagte er. Er blieb kurz stehen und ging dann hinter einen Hügel, wo, wie er sagte, sein Traktor stand. Golobitsch wartete, bis er verschwunden war. Er kleidete sich an und zeigte Ascher, wie er mit der Pistole umgehen mußte. Ascher begriff rasch. Er schoß auf Blätter und Zweige und Gräser, später gingen sie durch die ungemähte Wiese bergauf. Golobitsch trug die Geräte, Ascher den Sack. In der Wiese fanden sie die Schale von einem Fasanenei. Das Licht zeichnete auf den Waldboden bizarre Muster. Der Hof des Bauernhauses war nun leer. Golobitsch lehnte die Werkzeuge an den Brunnen. Ascher sah Spinnennetze am Dachrand des Wohngebäudes glitzern, und erstaunt stellte er fest, wie rasch er sich von seinem früheren Leben entfernt hatte.
4
Einige Tage verbrachte er im Haus. Am Morgen waren die Gräben zwischen den Hügeln, die er von seinem Fenster aus sah, mit Nebel gefüllt und glichen Gletschern. Der Nebel konnte sich schnell verziehen oder weiter verdichten. Schien die Sonne durch ihn, so leuchtete er blendend hell wie Dampf von schmelzendem Eisen, dann wiederum löste er sich
Weitere Kostenlose Bücher