Der stille Sammler
kleines Detektivbüro einzurichten.
Ich hatte den alten Schreibtisch aus meiner Wohnung mitgebracht, übersät mit noch ungelesenen Zeitschriften und Versandhauskatalogen. Dazwischen stand mein Laptop. Neben dem Drehstuhl hatte ich ein paar Kisten mit alten Steuererklärungen und anderen nicht kompromittierenden Akten abgestellt. Für den Rest hatte ich mir – schon damals, nachdem Paul mich verlassen hatte – einen verschließbaren Metallschrank zugelegt.
An den Wänden hingen ein paar Bilder, die mich an meine Erfolge erinnern sollten, darunter ein Foto, auf dem Präsident Reagan mir gratuliert, weil ich einen terroristischen Anschlag verhindert hatte, von dem niemand je erfahren wird. In einem anderen Rahmen hing die Belobigung für die Zerschlagung eines Menschenschmugglerrings, der Thaimädchen als Sklavinnen gehalten hatte. Daneben eine weitere Belobigung für die Infiltration des Palo-Mayombe-Kults und dafür, dass ich geistesgegenwärtig einen Jungen gerettet hatte, der bei lebendigem Leib in einem großen Kessel gekocht werden sollte. Ich hatte gemischte Gefühle wegen dieser Geschichte, weil bereits ein anderes Kind tot im Kessel gelegen hatte, als wir vor Ort aufgetaucht waren. Das war ungefähr zu der Zeit gewesen, als ich den unbewaffneten Typen erschossen hatte, von dessen Familie ich verklagt worden war.
Janes Hobbyzeug steckte in einer Kiste im Wandschrank, zusammen mit ihrer Nähmaschine.
Ich setzte mich in meinen Drehsessel, legte die Füße auf eine Kiste und starrte auf mein Handy, das ich auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen. Ich dachte an meinen Gefühlsausbruch auf dem Weg zum Mount Lemmon. Wäre es nur um Jessica und ihren Leichnam gegangen, hätte ich mich und meine Gefühle wahrscheinlich besser im Griff gehabt. Schließlich war sie tot und spürte keinen Schmerz mehr. Aber da war ihr Vater, Zach Robertson, der dafür sorgte, dass ich diese schlimmen Tage nicht vergaß.
Zachariah Robertson war Zahnarzt in Santa Fe gewesen, mit einer liebenden Frau, einem erfolgversprechenden Sohn und einer Tochter, die gerade erst beim FBI angefangen hatte. Ich hatte Zach nie erzählt, wie sehr ich es bedauerte, dass ich Jessica zu früh für Einsätze empfohlen hatte, weil ich sie unbedingt als meine Nachfolgerin aufbauen wollte. Ich hatte ihm nie gesagt, wie sehr ich es bedauerte, dass ich selbst damals bereits zu alt gewesen war, um als überzeugende Anhalterin an der Straße zu stehen. Wie allen Angehörigen der Opfer in den Fällen, für die ich zuständig gewesen war, hatte ich Zach nur gesagt, er solle mich anrufen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn ich etwas für ihn tun könne.
Das tat er dann auch.
Nach Jessicas Verschwinden in jener schicksalhaften Nacht an der Route 66, knapp einhundertdreißig Kilometer westlich von Tucumari, New Mexico, waren Zachs Anrufe kurz nach der Stunde null zunächst hoffnungsvoll gewesen. Nach einem halben Jahr aber waren sie in blanke Verzweiflung umgeschlagen. Er fing an zu trinken und erschien mit so viel Restalkohol in seiner Praxis, dass seine Hände zitterten – in seinem Beruf als Zahnarzt ein gewaltiges Problem.
Selbst zwei Jahre nach Jessicas Verschwinden rief er mich noch an. So erfuhr ich, dass seine Frau Elena und sein Sohn Peter ihn verlassen hatten – ungefähr drei Jahre früher, als es normalerweise dauert, bis die Familie eines Mordopfers endgültig zerbricht. Dann erkrankte Elena an Krebs und starb, ohne sich behandeln zu lassen. Nach ihrem Begräbnis hatte Zach kaum noch Kontakt zu seinem Sohn.
Das letzte Mal, als ich mit ihm gesprochen hatte, war er zu einem Einsiedler geworden, versoffen, schmutzig und stinkend, der in einem Blockhaus auf der Upper Peninsula des Lake Michigan hauste.
Ich kippte den Rest Wein hinunter, wählte Zachs Nummer, atmete tief durch und machte mich auf alles gefasst. Schließlich wusste ich, dass unsere Gespräche häufig so verliefen, als würde sich das Sicherheitsventil eines radioaktiven Dampfkessels öffnen.
Er nahm das Gespräch beim ersten Klingelzeichen entgegen, genau wie damals, als alles angefangen hatte. »Normalerweise warten Sie immer, bis ich Sie anrufe«, sagte er ohne Umschweife. Dann, mit einem Schwanken in der Stimme: »Sie haben Jessica gefunden, nicht wahr?«
»Ja.« Ich erzählte ihm nicht gleich alles, weil ich erst einschätzen wollte, wie viel davon er am nächsten Morgen noch wissen würde.
»Haben Sie den Täter?«
»Ja.«
»Warum hat er es getan? Wissen Sie das?«
»Wir
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