Der stille Sammler
dass ich Sie in Ruhe lassen soll.«
Ich zögerte.
Coleman fuhr fort: »Ich weiß, dass ich eine Menge verlange und dass Sie mich nicht kennen. Aber selbst wenn es Ihnen egal ist, ob der falsche Kerl lebenslänglich ins Gefängnis gesteckt wird, muss Ihnen doch eines klar sein: Falls Lynch nicht hinter den Route-66-Morden steckt, ist der Täter immer noch auf freiem Fuß.« Wieder beugte sie sich über den Tisch. Hätte meine Jacke Aufschläge gehabt, hätte sie mich daran gepackt, da bin ich sicher. »Lynch kennt die Details des Falles zu gut! Wenn er die Morde nicht begangen hat, kennt er zumindest den Täter, jede Wette! Er könnte uns zu dem Kerl führen, der Jessica Robertson wirklich ermordet hat. Zu einem Psychopathen, der jederzeit wieder mit dem Morden anfangen könnte.«
Falls Coleman recht hatte, stimmte ihre Schlussfolgerung. Aber ich hatte noch einen letzten Einwand. »Ist Ihnen klar, dass es von Nachteil sein könnte, mich in die Sache einzubeziehen? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Morrison und ich nichts miteinander teilen außer einer gegenseitigen Abneigung.«
Sie ignorierte meinen Einwand, und zum ersten Mal zeichnete sich auf ihrem Gesicht die Last der Bürde ab, die sie die ganze Zeit allein getragen hatte. »Glauben Sie mir, Agent Quinn, ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass Lynch der Route-66-Killer ist. Ich wünsche es mir genauso sehr wie alle anderen. Und dass ich ihn verhört habe, würde meiner Karriere verdammt guttun. Aber ich kriege seinen Gesichtsausdruck nicht aus dem Kopf, als ich ihn nach den Ohren gefragt habe. Da sah ich plötzlich einen anderen Mann vor mir. Keinen Psychopathen, sondern ein Bild des Jammers. Ich wache mitten in der Nacht auf und habe dieses Gesicht vor Augen. Wir haben Tonnen von Beweisen, die dafür sprechen, dass Lynch schuldig ist, aber immer, wenn ich dieses Gesicht vor mir sehe, kommen mir Zweifel. Deshalb werde ich alles tun, um die Wahrheit herauszufinden, und es treibt mich in den Wahnsinn. Haben Sie jemals so eine Erfahrung gemacht?«
Ich antwortete nicht, was Coleman als Zustimmung wertete. »Ich bitte Sie lediglich um Ihre Meinung als Expertin«, fuhr sie fort, »ob der Fall abgeschlossen ist oder eben nicht. Wenn Sie meine Zweifel für berechtigt halten, werde ich unterstützende Beweise finden und dafür sorgen, dass weitere Ermittlungen vorgenommen werden oder Lynch sein Geständnis vor Gericht widerruft.« Sie versuchte mir in die Augen zu schauen, doch es gelang ihr nicht. »Und wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass ich mir nur etwas einbilde, kann ich wenigstens wieder ruhig schlafen.«
»Ihnen bleibt nicht viel Zeit. Ein paar Tage vielleicht.«
Coleman nickte und schob mir das Gutachten endgültig hin. »Versprechen Sie mir, sich das Video anzuschauen, bevor Sie eine Entscheidung treffen.«
Wie immer war die Verlockung des Unbekannten zu groß für mich, als dass ich hätte widerstehen können. Ich nahm das Gutachten, steckte es in meine Tragetasche und versprach Coleman, sie am nächsten Tag anzurufen.
11.
Ich verbrachte die Rückfahrt nach Catalina damit, über den Tag nachzudenken. Jessicas ausgetrockneter Leichnam; Zach, der seinen Kummer verbarg; das Treffen mit Laura Coleman, von dem ich mir erhofft hatte, es würde mich entspannen, das letztlich aber nur alte Wunden aufzureißen drohte. Meine Emotionen waren in den vergangenen Tagen Achterbahn gefahren.
Carlo schien zu spüren, dass ich mit mir selbst beschäftigt war, und schlug vor, zu Bubb’s Grubb zu fahren und dort zu essen. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich bereits in der Bar mit Laura Coleman einen Tacosalat gegessen hatte, also bestand ich darauf, selbst etwas zu improvisieren, konzentrierte mich auf die Küche und schlüpfte in die Dreifachpersönlichkeit aus Betty Crocker, Donna Reed und dem Playmate des letzten Jahres.
Während meiner gesamten Karriere hatte ich nur von Fastfood und Fertiggerichten gelebt, doch in letzter Zeit war das Kochen einfacher geworden. Nachdem ich erst die Offenbarung gehabt hatte, dass Spaghetti nicht mit Ketchup zubereitet werden, war der Rest relativ einfach.
Ich mischte einen Kopfsalat mit Shrimps, Walnüssen und getrockneten Preiselbeeren und krümelte Blauschimmelkäse darüber. Meine Portion war ein ganzes Stück kleiner als die von Carlo. Wir aßen vor dem Fernseher, was sich als wenig geschickter Zug von mir erwies, denn Carlo schaute sich im History Channel einen Beitrag über die Etrusker an, den ich mir aus
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