Der stille Sammler
eigenem Entschluss nie angesehen hätte, obwohl ich ihn nicht uninteressant fand. Dann spielte er mit der Fernbedienung (er mag ein Genie sein, aber er ist trotzdem ein Mann) und verweilte bei einem lokalen Nachrichtensender. »Dreizehn Jahre alter Fall in Tucson, Arizona, aufgeklärt«, verkündete die Laufschrift am unteren Bildschirmrand. »Serienkiller gesteht bizarre Mordserie.«
Scheiße.
»Möchtest du Ananassorbet?«, fragte ich Carlo.
»Gleich. Lass mich erst das hier anschauen«, antwortete er.
Da war die Geschichte. Morrison, der auf einem Podium umherstolzierte wie ein Gockel und von der Presse Fragen auffing, auf die ich die Antworten bereits kannte. Entführte junge Frauen. Vergewaltigung. Folter. Tod. Mumien in Lastwagen. Die einheimische Moderatorin Belinda Meloy kam ins Bild. Sie sah aus wie eine Zwillingsschwester von Robin Meade aus Morning Express .
»Ist dir mal aufgefallen, wie dürftig die Moderatorinnen heutzutage angezogen sind?«, fragte ich in dem vergeblichen Bemühen, Carlo von dem Bericht abzulenken. »So ein Paillettenkleid würde ich höchstens zu einer Cocktailparty anziehen.«
»Floyd Lynch wurde vor drei Wochen einhundertzwanzig Kilometer nördlich von Nogales im Bezirk des Sheriffs von Pima County festgenommen«, berichtete Belinda. »Die Festnahme erfolgte bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle an der Route 19 durch die Beamten der Border Patrol. In der Zwischenzeit hat Lynch gestanden, während der letzten dreizehn Jahre acht Morde an jungen Frauen begangen zu haben.« Sie drehte sich zur Seite, und die Kamera zoomte heraus. »Bei mir ist Special Agent Roger Morrison vom FBI -Büro in Tucson. Guten Morgen, Sir.«
»Guten Morgen, Belinda.« Morrison sah aus, als hätte er sich noch schnell räuspern wollen, aber keine Zeit mehr dafür gefunden. »Zuerst einmal muss ich unserer Sonderkommission für Gewaltverbrechen ein großes Lob aussprechen. Diese Kommission besteht aus Agents des FBI und Vertretern der örtlichen Polizeibehörden, die den Verdächtigen ohne Zwischenfall festnehmen konnten. Damit gilt der seit 1998 ungelöste Fall, bei dem die Ermittlungen nie zu einem Ergebnis geführt haben, offiziell als abgeschlossen.«
Im Anschluss an Morrisons sorgfältig ausgearbeitete Aussage wurde ein Foto von mir gezeigt, als der erfolglosen Beamtin von damals. Sie hatten kein Problem damit, mein Gesicht zu zeigen, nachdem ich nicht mehr undercover für sie arbeitete. Es war das offizielle Foto, das anlässlich meiner Pensionierung geschossen worden war.
»Guck mal, da bist du!«, sagte Carlo.
»War das gerade Donner?« Ein heraufziehendes Unwetter war stets eine gute Ablenkung in einem Landstrich, in dem der jährliche Niederschlag keine 280 Millimeter betrug, aber Carlo fiel nicht darauf herein.
Er bedachte mich mit einem Seitenblick. »Du warst gestern oben am Pass?«, fragte er, während eine Einstellung aus einer Hubschrauberkamera das Autowrack zeigte.
»Ja. Max hatte mich gebeten, ein paar offene Fragen zu beantworten und meine Meinung zu einem alten Fall zu äußern. Das habe ich getan und fertig. Es interessiert dich bestimmt nicht.«
Carlo musterte mich mit erhobenen Augenbrauen, verzichtete aber auf weitere Fragen. Nachdem wir uns eine Folge von Law and Order angeschaut hatten – Carlo liebt es, wenn ich ihm verrate, wo die Leute Fehler machen –, schlug er vor: »Komm, lass uns die Hunde ausführen, Mata.« Er nennt mich häufig so – nach Mata Hari, wegen meiner Vorfahren und meiner geheimnisvollen Vergangenheit. Es stört mich nicht, solange er nicht zu bohren anfängt.
Wir nahmen jeder eine Leine und eine Tüte für den Hundekot und spazierten um den Block. Es war immer noch hell, knapp zwei Monate nach der Sommersonnenwende. In den stillen Nebenstraßen unterhielten wir uns über jene belanglosen Themen, die eine Ehe so mit sich bringt. Ob wir zur Taufe von Carlos Großnichte nach Des Moines fahren sollten (nein). Ob der Bretterzaun um den Garten eine neue Lasur nötig hätte (ja). Ob der kurze Schauer vom Nachmittag als Regen galt (verdammt, nein!). Alles ganz normal.
Als wir zurückkamen, hatte ich eine SMS von Laura Coleman auf meinem Handy. Sie wollte von mir wissen, ob ich das Video schon gesehen hätte.
»Immer mit der Ruhe«, schrieb ich unbeholfen zurück. Ich war nicht besonders vertraut mit dieser Art der Kommunikation.
Da ich das Telefon gerade in der Hand hielt, konnte ich auch gleich nachfragen, wie es Zach ging, und rief ihn im
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