Der stille Sammler
auffallen müssen, dass der Van verkehrswidrig hielt und alles irgendwie seltsam erschien. Dennoch legte ich meinen Rucksack auf einen Felsblock neben einem kahlen, ausgebleichten Baumgerippe, das vor langer Zeit von einer Sturzflut den Fluss hinuntergetragen worden war. Nachdem ich die Gartenhandschuhe übergestreift hatte, stocherte ich mit meinem Stock nach Steinen und entdeckte ein paar hübsche Rosenquarze und mit Glimmer durchsetzte Granite, die ich in die Tasche steckte.
Der Van weckte meine Aufmerksamkeit erst wieder, als er langsam den Fahrweg heruntergerollt kam, der von der Golder Ranch Road zum Ufer führte. Während ich vorgab, weitere Steine in Augenschein zu nehmen, wendete der Wagen, sodass er schnell wieder den steilen Hang hinauffahren konnte. Bis zu diesem Moment war das alles nicht allzu verdächtig. Das hier war schließlich ein öffentlicher Ort, an dem die Leute aus der Gegend hin und wieder ihre Hunde herumtollen ließen.
Der Kerl, der hinter dem Wagen hervorkam, gehörte allerdings nicht zu der Sorte, die Stöckchen für ihre Hunde warf. Plötzlich zuckte auch der Nerv an meinem Hals, und zwar mit Nachdruck. Während ich weiterhin so tat, als würden mich nur die Steine interessieren, beobachtete ich, wie der Mann die Hecktüren des Vans öffnete, irgendetwas zurechtrückte, das ich nicht erkennen konnte, und die Türen wieder schloss – bis auf einen schmalen Spalt.
Dann drehte er sich um und schaute zu mir herüber.
Nachdem ich mir für alle Fälle die Nummer des Vans eingeprägt hatte, konzentrierte ich mich auf den feuchten Sand zu meinen Füßen und stocherte hier und da mit meinem Stock, um kleinere Steine auszugraben. Ich konnte spüren, wie der Kerl sich in Bewegung setzte, die Böschung hinuntersprang und so tat, als würde er sich umschauen, während er mir immer näher kam.
Ein weiterer Nerv in meiner Magengrube meldete sich – ein Nerv, den ich seit langer Zeit nicht mehr gespürt hatte. Es war Jahre her, dass ich mich in einer solchen Situation befunden hatte, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Schließlich richtete ich mich auf und wandte mich ihm zu, denn zum Weglaufen war es zu spät.
Der Fremde stand keine drei Meter von mir entfernt. Er war über eins achtzig groß, ungefähr siebzig Kilo schwer und hager. Er bewegte sich ruckartig, hatte fleckige Haut und rotgeränderte Augen, ein Hinweis auf chronischen Missbrauch von Aufputschmitteln. Mittellanges, strähniges Haar. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er trug ein ärmelloses »University of Arizona«-Laufhemd, ein Stück Zwirn um den Hals und orangefarbene Synthetikshorts mit einem Saum, der früher vielleicht einmal weiß gewesen war. Keine Unterwäsche. Grüne Flipflops. Die Sohle war brüchig unter den Zehen, weil er die Angewohnheit hatte, sie vor und zurück zu biegen, so wie jetzt. Das aufschlussreichste Detail jedoch – schlimmer als die Erektion, die mir verriet, dass er nicht gekommen war, um mich auszurauben – war ein Streifen Klebeband, der auf der Vorderseite seines Shirts haftete.
Ich wartete auf seinen nächsten Zug, irgendeine dümmliche Bemerkung über Steine und Geologie, mit der er hoffte, mich in Sicherheit zu wiegen. Währenddessen überdachte ich meine Optionen.
Erstens: Weglaufen, so schnell ich konnte, und hoffen, dass er mich nicht einholte.
Zweitens: Ihn an Ort und Stelle kampfunfähig machen und die Cops rufen.
Drittens: Herausfinden, wer der Kerl war.
Ich hätte mich für Möglichkeit zwei entscheiden sollen. Was, zum Teufel, habe ich mir damals nur gedacht? Vielleicht lag es an der Schnur um seinen Hals. Denn als er daran zog, kam ein in Folie verpacktes Kondom zum Vorschein, und das machte mich wütend. Und als er dann unvermittelt vorsprang und mir den Stein aus der Hand schlug, entschied ich mich für Möglichkeit drei. Ich wollte herausfinden, wie oft dieser Hurensohn so etwas schon getan hatte und wo die Leichen seiner Opfer versteckt waren, bevor er hinter einem Anwalt in Deckung gehen konnte. Ein wenig Logik war also schon noch dabei. Ich war nicht blind vor Wut.
Ich ließ zu, dass er mich packte, mir die Hand auf den Rücken drehte und mir das Klebeband auf den Mund presste. Als er mich zu seinem Van schob, wehrte ich mich gerade so viel, dass es überzeugend wirkte – zu überzeugend, denn er trat mir schmerzhaft in die Kniekehlen. Am Wagen angekommen, bereute ich meinen Leichtsinn. Vielleicht hatte ich eine große Dummheit begangen, denn als er mich in den
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