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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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nicht mehr lange Widerstand leisten konnte – dann würden seine Zähne sich in mein Fleisch senken. Ich musste etwas tun, und zwar schnell, verdammt schnell. Ich schrie auf, als er den Stoff meiner Bluse am Oberarm erwischte und wie eine Korallenschlange anfing, mit den Kiefern zu arbeiten.
    Mir blieb keine Wahl. Ich wand den Oberkörper nach vorn und zu seinen Beinen, stieß ein geflüstertes »Gottverdammt!« aus und presste Augen und Mund fest zusammen in Erwartung des Blutschwalls, der sich über mich ergießen würde, sobald ich den Tourniquet von seinem Bein gerissen hatte.
    Ich habe es wieder getan, dachte ich hinterher, während mir der warme Geruch seines Blutes in die Nase stieg.
    Nur hatte ich diesmal keine Dienstmarke, die mich schützte. Diesmal war ich im Arsch.

13.
    Was war nur in mich gefahren, dass ich ein solches Risiko eingegangen war? Wie hatte ich so dumm sein können, diesen Verrückten in eine Situation zu bringen, in der ihm keine andere Möglichkeit geblieben war, als mich anzugreifen? Ein Irrer, der nichts zu verlieren hatte. Ich hätte wissen müssen, dass es letztendlich darauf hinauslaufen würde, dass einer von uns beiden dran glauben musste.
    Ich kroch zur Rückseite der Ladefläche, wo ich geschützt war vor dem Blut, das immer noch in den Rillen im Boden schwappte, und wo ich mich von dem Schock erholen und darauf konzentrieren konnte, meine Atemfrequenz zu normalisieren und den Puls zu senken. Im Vertrauen darauf, dass sich draußen niemand herumtrieb, der mich hören konnte, stieß ich einen Schrei aus, so laut ich konnte, was einen Teil meiner Anspannung von mir abfallen ließ. Dann wurde es Zeit, die Suppe auszulöffeln, die ich mir eingebrockt hatte.
    Zuerst zog ich meine blutgetränkten Gartenhandschuhe aus, legte sie auf meine Cargohose, öffnete die Seitentasche und zog das Handy hervor. Es war wichtig, kontrolliert zu erscheinen, als wäre ich Herr der Situation und immer noch ein Profi. Ich räusperte mich und übte einige Male die ersten Sätze, bis ich sie ohne Stocken sagen konnte. »Hi, Max. Hier ist Brigid Quinn. Hi, Max. Hier ist Brigid Quinn …«
    Max’ Nummer war gespeichert, und mein Daumen zitterte einen Moment über der Taste, während ich überlegte, was ich ihm erzählen sollte.
    Dann sagte ich mir, dass es vielleicht besser sei, zuerst Carlo anzurufen und ihm alles zu erklären, bevor jemand ihm falsche Vermutungen einflüsterte, was sich hier zugetragen haben könnte und was ich in Notwehr getan hatte.
    Dann aber stockte ich erneut bei dem Gedanken, Carlo könnte hierherkommen und mich in diesem Zustand sehen, von oben bis unten voller Blut. Nein, das kam nicht infrage.
    Und in dieser Sekunde, während ich auf dem Boden des Vans saß und auf das widerliche tote Monster starrte, erinnerte ich mich an den Augenblick, als Paul, mein geliebter Paul mit dem Cello und dem Trüffelöl, ein Tatortfoto gesehen und mir gesagt hatte, er könne es nicht ertragen, jemanden wie mich in seiner Welt zu haben.
    Ich bin sicher, es gibt noch mehr Menschen, die einen solch entscheidenden Moment erlebt haben. Man ist sein Leben lang ein und dieselbe Person, bis der Tag kommt, der alles verändert. Es kann in einer Arztpraxis geschehen, auf der Arbeit, zu Hause, irgendwo. Auf jeden Fall kommt jemand – vielleicht sogar jemand, dem man immer vertraut hat – ins Zimmer und macht irgendeine beiläufige Bemerkung, an die er sich nicht einmal erinnert, doch die Worte erschüttern einen bis ins Mark und verändern einen für immer. Man hält sich für hart und abgebrüht und hat nicht die geringste Ahnung, wie weich man unter der harten Schale ist, bis sie zerbricht. Es geschieht ganz schnell, und es kommt stets unerwartet.
    Paul war einer der Menschen, die einen solch entscheidenden Moment herbeigeführt hatten. Und dies hier war ein weiterer. Nach diesem Augenblick gibt es nichts mehr, das erklären oder rechtfertigen könnte, was ich getan hatte.
    Die Vorstellung, ich könnte Carlo verlieren, brachte einen beinahe unerträglichen Schmerz mit sich. Ich war überzeugt, dass ich den Verlust nicht überleben würde, nicht überleben konnte – den Verlust dieses einen, einzigen glücklichen Aspekts meiner Existenz. Ich hatte viel zu lange auf jemanden wie Carlo gewartet, und ich würde ihn nicht auf die gleiche Weise vertreiben, wie ich in meiner Vergangenheit alle anderen vertrieben hatte. Ich würde es nicht überleben, meinen Ehemann zu verlieren. Dieses Risiko würde ich nicht

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