Der stille Sammler
Dach. Ich ließ den Blick in die Runde schweifen, ob jemand den Unfall beobachtet hatte und nun herbeigeeilt kam, um zu helfen. Nichts.
Dann hörte ich unten im Van einen dumpfen Schlag, als wäre im Heck ein Sack Zement umgefallen. Offenbar hatte der Leichnam sich irgendwo verfangen und war nun hinuntergefallen.
Es hatte insgesamt weniger als fünfzehn Minuten gedauert, bis ich von meiner Entscheidung zu einem Punkt gelangt war, an dem es kein Zurück mehr gab.
Im Idealfall würde es wenigstens eine Woche dauern, bevor jemand das Autowrack entdeckte. Verwesung und Insekten würden die Spuren meines Stocks an der durchtrennten Arterie beseitigen. Falls nicht, würde alles auf den Selbstmord eines hinuntergekommenen Unbekannten hindeuten. Der Sheriff würde nicht genau genug hinsehen, um zu erkennen, dass einige der Schnitte am Körper des Toten postmortal waren. Man würde den Leichnam ins Leichenschauhaus transportieren, und niemand würde je nach ihm fragen.
Ich ging auf Strümpfen zurück zu der Stelle, wo ich den Verrückten getroffen hatte, und schleifte den Rucksack über seine Fußabdrücke unterhalb der Brücke, während ich meine eigenen Spuren unangetastet ließ. Auf diese Weise gelangte ich zu der Stelle, wo der Van ursprünglich gestanden hatte. Der braune Umschlag, den ich aus dem Fahrzeug geworfen hatte, lag noch auf dem Boden. Ich hob ihn auf und steckte ihn in meinen Rucksack.
Als ich mir den Rucksack umschnallen wollte, bemerkte ich, dass er leichter war als sonst. Ich war erst seit ungefähr zehn Minuten im Flussbett gewesen, als der Kerl aufgetaucht war, und hatte in dieser Zeit vielleicht ein halbes Dutzend Steine gesammelt. Es würde Fragen aufwerfen, wenn ich nach so langer Abwesenheit mit einer so geringen Ausbeute zu Hause auftauchte, deshalb hob ich den Rosenquarz und noch ein paar weitere Steine auf und steckte sie in den Rucksack.
Phase vier: Anstatt über die Straße nach Hause zu gehen, stieg ich ungefähr hundert Meter hinter der Brücke den Hang hinauf und überquerte den Lago del Oro Parkway. Der morgendliche Berufsverkehr war vorüber. Das Dutzend Fahrzeuge, das während dieser Zeit die Straße benutzte, war längst verschwunden – und damit jede Hoffnung auf Hilfe. Wäre eine andere Frau als ich dort unten gewesen, läge sie jetzt tot und mit gebrochenen Knochen im Heck des Vans. Nur weil der Kerl an mich geraten war, hatte es stattdessen ihn selbst erwischt. Immerhin, ein Trost.
Eine andere Frau als ich …
Leider hatte ich das Arschloch zum Schweigen gebracht, bevor ich mehr über die anderen Frauen hatte herausfinden können. Wichtiger jedoch war, dass es keine Frauen mehr geben würde.
Nie wieder.
Ich lauschte meinem abgehackten Atmen und versuchte eine Zeit lang, den Tod aus meinen Gedanken zu vertreiben, während ich zu der purpurnen Bergkette im Osten blickte. Sie strahlte jene Erhabenheit und Würde aus, die ich in meinen jüngeren, naiveren Tagen als FBI Agent hatte schützen und verteidigen wollen.
Ich durchquerte die Arroyos, die den Lago del Oro Highway von unserer Siedlung trennten – nur ein halber Kilometer Luftlinie, doch es war schwieriges Gelände: Auf der einen Seite ging es durch Kies und Geröll steil hinunter in ein schmales Bachbett, auf der anderen Seite ebenso steil wieder hinauf. Es waren insgesamt sechs Arroyos, die ich durchqueren musste, und jeder lag höher als der vorhergehende, sodass ich am Ende, ganz oben angelangt, hinter mir in ein kleines Tal blicken konnte, das der Fluss im Lauf von Jahrtausenden in den Boden gegraben hatte.
Ansonsten gab es nichts außer Wüste und Gestrüpp. Hier und da leuchteten orangerote Blüten auf der Spitze eines Kugelkaktus, und an einigen Stellen waren die Spuren von Hufeisen zu sehen. Es war friedlich und still.
Trotz der Stille gelang es mir nicht, mein hyperaktives Nervensystem zu beruhigen. Ich hielt meinen Stock bereit, ließ angespannt den Blick schweifen und lauschte. Jedes Geräusch, mochte es von einem Motorrad auf der Straße parallel zu meiner Route stammen oder von einem Kaninchen, ließ den Nerv an meinem Hals zucken.
Ich hätte den Mistkerl schon im Flussbett kampfunfähig machen und anschließend Verstärkung rufen sollen. Aber hinterher ist man immer klüger.
Die geringe Luftfeuchtigkeit von vielleicht zehn Prozent und meine voranschreitende Dehydrierung forderten allmählich ihren Tribut und machten mich leicht benommen. Meine Bluse war trocken und ein wenig steif vom Blut des
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