Der stille Schrei der Toten
am Bett, in vollem Ornat sozusagen, schwarzer Nadelstreifenanzug, frisch gebügeltes weißes Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen, gerüstet für einen wichtigen Tag. Wir frühstückten gemeinsam, Kaffee und Croissants und riesige leckere Erdbeeren, und lachten uns ständig an, redeten aber nicht viel von Bedeutung. Vielleicht war er genauso unsicher wie ich. Dann fuhr er weg, während ich zurück ins Bett ging und noch weitere fünf Stunden schlief. Danach fühlte ich mich eine ganze Ecke besser.
Er rief einige Male an, um sich nach mir zu erkundigen, was mir irgendwie gefiel, wobei er auch sagte, dass er rechtzeitig zurück sein werde für ein spätes gemeinsames Abendessen. Ich sagte: »Fühl dich ganz wie zu Hause«, und er lachte. Dann legte ich mich auf die Chaiselongue im Schatten und schlief wieder fünf oder sechs Stunden. Offenbar litt ich unter Schlafentzug, aber mir gefiel es auch, im Unbewussten zu versinken.
Ich wachte erst wieder auf, als ich hörte, wie Black nach Hause kam. Ich lag in den Praxisräumen auf einem großen Ledersofa unter einer Decke aus schwarzem Samt. Draußen war es schon dunkel, und ich hatte kein Licht angemacht, und so sah er mich gar nicht gleich. Ich beobachtete ihn dabei, wie er seine Schreibtischlampe anknipste, dann aus seinem dunklen Jackett schlüpfte, den obersten Knopf seines Hemds aufmachte, sich der grauen Krawatte entledigte und schließlich zur Bar ging. Er nahm eine Flasche Scotch heraus und stellte sie auf dem Tresen ab. Er goss sich ein Glas ein und kippte es auf einmal hinunter, als würde er es brauchen.
Ich sagte: »Arbeitest du immer so hart?«
Er drehte sich abrupt um und setzte sich, noch immer im Halbschatten verborgen, auf die Couch. Er wirkte eindeutig erleichtert. »Ich hab schon gedacht, du wärst sang- und klanglos nach Hause verschwunden. Seit Stunden hat dich kein Mensch gesehen.«
»Ich bin auf dem Balkon eingeschlafen, und dann irgendwann hier reingegangen. Ich hab versucht, über alles genau nachzudenken, wie du es gesagt hast.«
Er goss sich noch ein Glas ein, kam herüber, ließ sich in den Ohrensessel neben mir plumpsen und stellte das Glas auf der Armlehne ab. Mir bot er keinen Drink an. »Und?«
Ich hatte den ganzen Tag über ihn nachgedacht, über uns, darüber, was ich wirklich wollte. Vor allem wollte ich ehrlich zu ihm sein und mich nicht mehr in mich selbst verkriechen, was er mir vorgeworfen hatte. »Durch dich hat sich gestern Abend was in mir verändert. Ich hab keine Ahnung, wie du das gemacht hast, und ich weiß auch nicht, ob mir dieser neue Zustand gefällt. Aber ich glaube schon.«
Black grinste, und ich wusste, es kam von Herzen. Ich hatte das Bedürfnis, ihn neben mich aufs Sofa zu ziehen und alles, was sonst noch war, zu vergessen. Vielleicht weil er ein verdammt guter Liebhaber war und mir Gefühle bescherte, wie ich sie nicht einmal im Traum gekannt hatte.
»Ich habe nun mal ein Auge für Qualität, wenn sie mir begegnet.«
»Wo wir schon bei Neuigkeiten sind. Was gibt’s eigentlich Neues über unseren Fall?« Ich hatte den Eindruck, ich hätte das Thema aufgrund der zunehmenden Nähe gewechselt. Black würde das wahrscheinlich als Abwehrmechanismus bezeichnen.
»Die Fernsehsender kriegen gar nicht genug davon. Wir können mal kurz einschalten und hören, was die Experten so zu sagen haben, wenn du willst.«
»Du warst auch schon mal einer von diesen Experten, nicht wahr?«
»Das stimmt. Ab und zu.«
Ich beobachtete ihn dabei, wie er mich beobachtete, aber die Stille war gar nicht so unangenehm.
»Ich fühle mich heute ganz gut«, sagte ich nach einer Weile. »Hab den ganzen Tag nur geschlafen, so lange wie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr.«
»Ich wünschte, ich hätte hier bei dir bleiben können.«
Das wünschte ich auch. Ich dachte daran, was wir in der letzten Nacht so alles getrieben hatten, und ich hatte Lust auf eine Wiederholung. Ich setzte mich auf und verschränkte die Arme auf der Brust; irgendwie fühlte ich mich verletzlich. »Ich glaub, was ich gestern Abend geliefert hab, war ganz schön heftig. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Verführung ist halt nicht so meine Stärke. Ich muss mich wohl ziemlich blöd aufgeführt haben, oder nicht?«
Black starrte mich sekundenlang an und lachte dann auf. »So schlecht war es gar nicht, wenn man bedenkt, was passiert ist.«
Ich fühlte mich geschmeichelt, aber auch peinlich berührt, und wechselte abermals das Thema. »Hattest du heute
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