Der stolze Orinoco
ernsthafter. Am rechten Ufer des Oberlaufs giebt es den Padamo…
– Ihr Padamo ist gegenüber meinem Guaviare nur ein Bächlein, fiel Herr Varinas ein.
– Nun sagen wir: ein Bach, den die Geographen für ebenso bedeutend halten, wie den Orinoco, erwiderte Herr Miguel. Auf der linken Seite giebt es den Cassiquiare…
– Ihr Cassiquiare ist nur ein Wasserfädchen gegenüber meinem Atabapo! ließ sich Herr Felipe vernehmen.
– Na, ein Wasserfaden, der die venezuolanischen Becken mit denen des Amazonenstromgebiets verbindet. An derselben Seite mündet ferner der Meta…
– Ihr Meta ist nur so groß wie der Ausfluß eines Wasserleitungshahnes!
– Ja, aber eines Hahnes, dem ein Wasserstrom entquillt, welchen Sachkenner im Verkehrswesen als den zukünftigen Weg zwischen Europa und dem columbischen Ländercomplex betrachten.«
Man sieht hieraus, daß Herr Miguel vielseitig bewandert war und auf alles eine Antwort hatte. So fuhr er denn unbeirrt fort:
»An der rechten Seite giebt es ferner den Apure, den Fluß der Ilanos, der bis fünfhundert Kilometer stromaufwärts schiffbar ist.«
Weder Herr Felipe, noch Herr Varinas erhoben hiergegen Einspruch. Es sah aus, als würden sie von dem so sichern Auftreten des Herrn Miguel halb erstickt.
»Auf der rechten Seite endlich, setzte dieser hinzu, trifft man auf den Cuchivero, den Caura, den Caroni…
– Wenn Sie mit der Aufzählung dieser Liste fertig sind… fiel Herr Felipe ein.
– Werden wir uns darüber aussprechen, vollendete Herr Varinas, der geduldig die Arme gekreuzt hatte, die Worte des gelehrten Collegen.
– Ich bin fertig, antwortete Herr Miguel, und wenn Sie meine persönliche Ansicht zu erfahren wünschen…
– Sollte das der Mühe lohnen? fragte Herr Varinas im Tone überlegener Ironie.
– Schwerlich! erklärte Herr Felipe.
– Ich will sie Ihnen doch nicht vorenthalten, meine werthen Herren Collegen. Keiner der genannten Zuflüsse dürfte wohl als Hauptflußlauf, dem der Name Orinoco rechtmäßig zukäme, zu betrachten sein. Meiner Ansicht nach verdient diese Bezeichnung auch weder der von meinem Freunde Felipe befürwortete Atabapo…
– Irrthum! Irrthum! rief der Genannte.
– Noch der von meinem Freunde Varinas empfohlene Guaviare.
– Die reine Ketzerei! polterte der Zweite hervor.
– Und ich ziehe daraus den Schluß, fuhr Herr Miguel fort, daß der Name Orinoco dem Oberlaufe des Stromes vorbehalten bleiben muß, dessen Quellen an dem Bergstock der Parima hervorbrechen. Er verläuft vollständig durch das Gebiet unsrer Republik und benetzt keine andre. Der Guaviare und der Atabapo werden sich wohl oder übel mit der Rolle von Nebenflüssen des Hauptstromes begnügen müssen, eine Rolle, die in der Geographie doch recht annehmbar erscheint…
– Die ich aber nicht annehme! rief Herr Felipe.
– Und die ich rundweg ausschlage!« secundierte ihm Herr Varinas.
Das Ergebniß der Vermittlung des Herrn Miguel in dieser hydrographischen Frage lief also darauf hinaus, daß jetzt drei, statt früher zwei Personen für den Guaviare, den Orinoco und den Atabapo eintraten. Der Streit dauerte noch eine volle Stunde an und würde vielleicht überhaupt niemals ein Ende gefunden haben, wenn nicht Felipe von der einen und Varinas von der andern Seite plötzlich gerufen hätten:
»Wohlan… so reisen wir zur Entscheidung selbst ab!…
– Abreisen? erwiderte Herr Miguel, der einen solchen Vorschlag kaum erwartet hätte.
– Ja ja! erklärte Herr Felipe. Brechen wir nach San-Fernando auf, und wenn ich Sie da nicht einwurfsfrei davon überzeuge, daß der Atabapo der Orinoco ist…
– Und ich, schnitt ihm Herr Varinas das Wort ab, Ihnen nicht haarklein beweise, daß der Guaviare den eigentlichen Orinoco darstellt…
– So wird es meine Aufgabe sein, schloß Herr Miguel, Sie zu der Anerkennung zu zwingen, daß nur der Orinoco in der That der Orinoco ist!«
Unter solchen Verhältnissen und in Folge des berichteten Wortgefechts beschlossen die drei Männer eine derartige Reise. Vielleicht wurde durch diese neue Expedition endlich der Lauf des venezuolanischen Stromes festgestellt, wenn das durch die letzten Forschungsreisen noch nicht endgiltig geschehen war.
Uebrigens handelte es sich nur darum, bis nach San-Fernando, an jene Stelle hinauszugehen, wo der Guaviare und der Atabapo ihre Gewässer, nur wenige Kilometer voneinander entfernt, in den Hauptstrom ergießen. Ließ es sich dort nachweisen, daß der eine und der andere nur Nebenflüsse
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