Der Strandlaeufer
Mutter. Der Sohn kommt gerannt. Seine nackten, schmutzigen Beine wirbeln durch den warmen Staub, und Rotz fließt ihm aus der Nase. Als er bei der Mutter ist, packt er sie hinten am Rock und beginnt zu zerren. Der Mann lacht und lässt die Mutter los. Dann geht er durch die heiße Luft davon, während der Sohn sich beruhigt und zusieht, wie ihm seine Mutter den offenen Hosenstall zuknöpft. Sie bückt sich dazu tief hinab, so tief, dass der Sohn im aufklaffenden Kleidausschnitt die zwei Erdbeeren auf ihrer Brust sehen kann. Der Sohn will sie haben. Er weiß noch, dass sie sich weich anfühlen und süß schmecken, wenn man sie mit den Lippen umschließt. Er streckt das Ärmchen aus und fasst seiner Mutter ins Kleid. Sie schimpft: »Weg da mit deinen Schmutzfingern!« Sie klopft ihm auf die Hände, und er beginnt zu weinen. »Mami strawberry«, hört er die Stimme rufen, die immer noch da ist, obwohl der Mann fortgegangen ist in dem in Tränen verschwimmenden Sommertag.
Kapitel 5
D er Regen musste über Nacht gekommen sein. Ich erwachte vom glucksenden Geräusch des Regenrohres vor meinem Fenster. Dann hörte ich auch das Rauschen des Flusses. Ich ging hinaus vor die Tür. Die steile Flanke des Tales war hinter dichten Tropfenvorhängen verborgen. Der Fluss, gewöhnlich nicht mehr als ein Rinnsal, glich einer wütenden, gelben Schlange, die auf ihr Opfer zuschoss, um es zu verschlingen. »Warte nur, du Ungeheuer«, flüsterte ich. »Du wirst dich am Meer überfressen. Wenn du glaubst, es verschlingen zu können, wird es dich zum Platzen bringen.«
Ich folgte dem Weg hinüber zur Stadt. Er war voller Schlamm und Geröll. Der Fluss floss ein Stück unter der Stadt hindurch und trat zwischen Felsen wieder ans Tageslicht, kurz bevor er über den schmalen Strand ins Meer strömte. Dort wuschen gewöhnlich alte Frauen ihre Wäsche, rieben sie auf den Felsen mit Seife ein und spülten sie in dem Rinnsal aus Süßwasser aus. Jetzt aber schoss ein Katarakt über den Strand, riss den Sand mit, grub einen tiefen Canyon hinein und stürzte sich in die von Regen gesprenkelten Wogen. Das Meer verfärbte sich lehmig an dieser Stelle. Wie gelbes Blut, das aus den Flanken der Wellen brach.
Ich ging zum Hafen. Ein sehr alter Mann saß im strömenden Regen auf dem Dollbord seines Bootes und flickte ein Netz. Eine Weile sah ich ihm schweigend bei der Arbeit zu. Er schien mich nicht zu beachten, doch ich täuschte mich. Mit einer ausholenden Geste seiner Hand lud er mich ein, an Bord zu kommen. Eine Weile saß ich schweigend neben ihm und sah ihm bei der Arbeit zu. Dass ich inzwischen genauso nass war wie er, störte mich nicht. Seine Finger waren außerordentlich geschickt. Sie wirkten wie Lebewesen, die zwar selbständig waren, jedoch mit großer Aufmerksamkeit aufeinander reagierten. Plötzlich brach er sein Schweigen. »Sie sind fremd hier«, sagte er und nickte dabei, als sei er mit dieser Tatsache einverstanden. »Aber Sie zeigen Interesse.«
»Wieso kommen Sie darauf?«, fragte ich.
»Ich habe es an der Art bemerkt, wie Sie mich beobachtet haben. Das war keine simple Neugier. Sie haben in mir und meinem Boot kein Fotomotiv gesehen. Sie haben begriffen, dass meine Arbeit anstrengend ist und ohne großen Nutzen und dass sie dennoch getan werden muss. Die meisten Fremden sind doppelt fremd, weil sie gleichgültig sind oder neidisch. Sie aber erinnern mich an einen Menschen, der sich auch für alles interessiert hat, ohne sich für etwas Besseres zu halten. Er hieß Marconi.«
»Marconi war hier?«
»Ja. Er war hier. Am 21. Februar. Ich weiß es so genau, weil ich meine spätere Frau an diesem Tage kennen lernte.«
»In welchem Jahr war das?«
Die Frage schien ihn zu verwirren. Er überlegte lange, stellte sogar die so lebendig wirkende Arbeit seiner Hände ein. »Ich weiß es nicht mehr«, sagte er schließlich. »Es ist schon zu lange her. Marconi lag mit seiner Yacht in diesem Hafen. Er war wohl vor einem Sturm geflüchtet, der draußen auf dem Meer wütete. Er stand an Deck. Ein schöner Mann in einer weißen Uniform mit goldenen Knöpfen. Er sah der Mannschaft zu, wie sie das Boot vertäute und eine Planke zum Land hinüberlegte. Nie werde ich seine Augen vergessen. Sie leuchteten wie kleine blaue elektrische Birnen. Vielleicht lag dies am Meer, das sich in ihnen spiegelte. Dann verließ er über die Planke das Schiff. Er ging durch das westliche Tor in die Stadt und verschwand. Zwei Tage später legte die Yacht
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