Der Strandlaeufer
zurückzuversetzen, konnte ich aber nicht weiter anstellen. Denn offenbar war die körperliche Anstrengung zu groß für meinen gebeutelten Körper gewesen, mit der Folge, dass sich der Dickdarm urplötzlich spontan und mit Gewalt entleerte. In die Hose geschissen, nennt man das bei Babys. Und als ein solches fühle ich mich inzwischen auch. Jedenfalls musste ich meine Arbeit unterbrechen und erst mal in die eben zum Waschen der Decke gebrauchte Badewanne steigen. Eine Generalsäuberung war angezeigt. Nach einem Wäschewechsel ging die Arbeit im Garten weiter. Der Rest der Arbeit war dann Routine. Allerdings war es nicht möglich, die zahlreichen Grashalme zu entfernen, jedoch hatte ich die berechtigte Hoffnung, diese nach gehöriger Durchtrocknung der Decke ganz oder teilweise durch heftiges Schütteln entfernen zu können. Ich ging in die Küche und schrieb auf meiner Erika den Vorfall nieder, damit ich mich gelegentlich daran erinnern kann. Außerdem überlegte ich, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Ist es mein Alter, das sich bemerkbar macht und mahnt, vorsichtiger zu Werke zu gehen, oder ist Ungeschicklichkeit, einhergehend mit Mangel an Konzentration, die Ursache? Ob die Anstrengung an dieser ungewohnten Entleerung schuld war oder das Backobstkompott, das ich am Vortage gegessen hatte? Ich machte mir einen steifen, nördlichen Grog, entgegen meiner Gewohnheit, ihn mir nur am Sonntag zu gönnen, und befasste mich mit dem Plan, als Schlussfolgerung aus der Katastrophe ins Altenheim zu gehen. Und dann kam nachts noch das mit der Uhr. Sie gab so ein seltsames Klopfen von sich. Es war nicht das Geräusch, das, wie du weißt, durch einen fehlenden Zahn in der Hemmung verursacht wird. Vielleicht schlug das Pendel gegen das Gehäuse. Ich wollte es justieren, und dabei verlor ich das Gleichgewicht. Wir stürzten beide auf die Steinfliesen. Die Uhr hatte es stärker erwischt als mich. Ich konnte sie mit Bordmitteln nicht reparieren. Aber jetzt war das Maß voll für mich. Ich rief im Altenheim an, und wie es der Zufall oder das Schicksal wollte, war gerade durch einen Todesfall dieses Zimmer frei geworden.«
Während er auf seine langatmige Weise erzählte, hatte ich mehrmals nachgeschenkt. Wir waren inzwischen jeder auf vier Gläser starken Grog gekommen.
»Morgen musst du pünktlich sein«, sagte er. »Und ich bitte dich, mir einige Sachen zu bringen, damit ich es gemütlicher habe. Hier ist eine Liste.«
Man merkte ihm nicht an, dass er getrunken hatte, als er seinen schwarzen Krückstock nahm und von mir eingehakt zum Fahrstuhl ging. »Ich muss dir morgen von der Bark ›Frank Wilson‹ erzählen. Das Schiff ist 1850 mit Mann und Maus im Indischen Ozean untergegangen. Der Kapitän war ein naher Verwandter von uns. Ich habe mir die Unterlagen der Seeamtsverhandlung kommen lassen. Die Ursache für die Katastrophe liegt im Dunkeln. Ich habe aber eine bestimmte Vermutung, die ich dir unterbreiten möchte.«
Ich wusste, er hätte jetzt nicht mehr aufgehört zu erzählen. Aber wir hatten inzwischen den großen Esssaal erreicht. Von allen Seiten starrten uns Augenpaare entgegen. Die meisten waren alterstrübe. Ein Mann mit krummem Buckel kicherte vor sich hin, während er sich mit Suppe bekleckerte. Mein Vater steuerte auf einen Tisch zu, an dem zwei alte Damen saßen, die eine war einundneunzig, wie ich später erfuhr, die andere ein bisschen jünger, dafür aber halbseitig gelähmt. Sie strahlten ihm entgegen wie junge Vögel, wenn auch ziemlich gerupft von der Zeit. Er begrüßte sie galant und nahm Platz zwischen ihnen. Während ich ging, hörte ich noch, wie er seine Tischdamen fragte, ob sie das Schicksal der ›Frank Wilson‹ interessieren würde. Sie nickten beide, während er bedächtig seine Suppe löffelte. Als er zu reden begann, hingen sie förmlich an seinen Lippen.
Kapitel 13
M ein Vater wollte nur wenige Dinge aus dem Haus in seinem neuen Domizil haben. Eine Holzschale voller Hosenund Hemdenknöpfe, ein altes Fernglas, die Schneiderschere seiner Mutter. Ein paar Bücher, die er besonders liebte, darunter Moby Dick und Joseph Conrads Erzählung ›Die Schattenlinie‹ sowie einen wertlosen Perserteppich. Ich ergänzte all das um einige Objekte, von denen ich wusste, dass er an ihnen hing. Ein großes Ölbild des Hafens seiner Heimatinsel. Fotos von ihm und seiner Frau, die ich vor drei Jahrzehnten gemacht hatte, auf denen meine Mutter triumphierend aussah und mein Vater
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