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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boëtius
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Verordnung ständig unterlaufen würde. Zwar wäre das Verbotsschild vom Flur her vorhanden, fehle jedoch an der Tür zum Vorraum, die ich benutzt hatte. Außerdem könne ich täglich beobachten, dass die Küche auch von unsterilen Personen, die nicht in Weiß gekleidet sind, betreten wird, sei es durch Lieferanten oder den Hausmeister, der im Arbeitsoverall in die Küche geht. Das ist ja auch gar nicht anders möglich, denn sowohl Lieferanten als auch der Hausmeister, der vielleicht mit einer Reparatur dort zu tun hat, müssten sonst ja vor dem Betreten eine Schleuse passieren. Außerdem würde auch anderes Personal des Heims seine Mahlzeiten an einem kleinen Tisch in der Küche einnehmen. Durch diese Fälle, die praktisch jeden Tag vorkämen, würde die genannte Verordnung ad absurdum geführt. Außerdem hätte ich in meinem Heimvertrag unter Paragraph Sechzehn gelesen, dass laut Paragraph Dreißig der Heimmitwirkungsverordnung eine Heimordnung erstellt worden sei, die mit den abgeschlossenen Heimverträgen ausgehändigt werden würde. Diese Heimordnung hätte ich aber nie erhalten. Auf diese Weise habe ich meinem Herzen Luft gemacht und die Büroleiterin Frau Erika, die ich eigentlich sehr sympathisch finde, einigermaßen in Verlegenheit gebracht. Aber ich war stinksauer und bin es noch immer. Zunächst wurde sofort nach meinem Besuch im Büro ein Verbotsschild an der Schiebetür vom Vorraum zur Küche, die ich benutzt hatte, angebracht. Sonst wird sich nicht viel ändern, weil die Praxis ein Betreten der Küche auch von nicht autorisierten Personen gebietet. Für mich hat dieser Vorgang folgende Konsequenzen: Seit ich in diesem Betrieb integriert bin, habe ich mich bemüht, nach allen Seiten aufgeschlossen zu sein und auch zu helfen, wenn notwendig. Das werde ich nun nicht weiter tun. Ich werde mich zurückhalten und möglichst isolieren. Meine Kammer ist meine Burg. Ich habe auch darüber nachgedacht, mir eine andere Bleibe zu suchen. Es gibt in der Nähe viele Heime. Da ich jetzt sehe, dass ich mit meinem Vermögen auskomme, könnte ich auch eine anspruchsvollere Heimstatt finden. Zunächst bleibe ich jedoch hier, abgekapselt. Ich muss mich aber auch fragen, ob ich nicht überreagiert habe, mich nicht souverän genug verhalten habe. Andererseits war es vielleicht auch notwendig, einmal zu zeigen, dass mein Selbstwertgefühl noch nicht gänzlich durch den Heimbetrieb verschlissen ist. Ich kann also auf Ungerechtigkeiten noch reagieren und zeigen, dass ich noch kein unmündiger Heimbewohner bin, wie so viele um mich herum. Ich könnte auch den Verdacht haben, dass zwar mein Verstand richtig gehandelt, jedoch meine Vernunft versagt hat, indem sie die eigentliche Unwichtigkeit dieses Vorfalls nicht erkannt hat und nicht bremsend eingeschritten ist. Schlimm allerdings ist, dass mir das Wohlgefühl der Geborgenheit verloren gegangen ist, welches mir durchaus gut getan hat. Ich werde die Weiterentwicklung erst einmal abwarten, nach dem Motto €›wait and see€‹.«
    Er redete in einem fort, als redete er um sein Leben. Er schien dabei erstaunlich selbstkritisch und nachdenklich zu sein. Wie hatte er sich verändert! War Kapitän Ahab milde geworden?, fragte ich mich. Ich war froh über diese Entwicklung. Aber zugleich spürte ich, dass mir mein Vater fast noch fremder war, wenn ich ihn nicht mehr als Gegner empfand.
 

 

Kapitel 14
    A uch an den nächsten Tagen betrat ich Punkt elf Uhr den Raum, seine neue Kajüte. Wenn ich mich zuweilen ein paar Minuten verspätete, dann lag es an der Concierge, die von mir erwartete, dass ich zuvor ihren Büroraum neben dem Eingang betrat. Sie war eine Art Cerberus, eine Totenhündin, die das Tor zum Hades bewachte und jeden Neuankömmling freundlich begrüßte, vielleicht mit der unbewußten Absicht, ihm die Rückkehr in die Oberwelt zu erschweren.
    Wieder einmal ging ich über den frisch gebohnerten Flur im ersten Stock und betrachtete aus den Augenwinkeln die Bilder an den Wänden, Blumenstillleben, Landschaften in übertrieben fröhlichen Farben. Seine Tür war wie immer nur angelehnt. Ich klopfte, dann öffnete ich. Er saß im Ohrenstuhl und blickte aus dem Fenster auf ein paar kahle Bäume vor einer Häuserwand. Der Kanal war von seinem Zimmer aus nicht zu sehen. Er schien dies nicht zu bedauern, dennoch machte er jeden Tag mit Hilfe seiner zwei Krücken einen mühseligen Gang zur Uferböschung, um den Schiffen nachzusehen.
    Er drehte den Kopf, und ein Lächeln erschien

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