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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boëtius
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schreiben sie aus der Rückblende. Ich werde es notgedrungen ebenso halten.«
    »Das klingt mir ein bisschen zu larmoyant. Der Anfang, den du mir geschickt hast, gefällt mir übrigens gut. Aber das habe ich dir, glaube ich, schon geschrieben. Bist du inzwischen weitergekommen?«
    Er trank nur Pellegrino. Ich schwebte bereits.
    »Es existiert schon einiges. Die Hauptfigur gerät als junger Mann auf einem Schiff in Lebensgefahr. Die Ladung, es ist Kopra, entzündet sich selbst. Das Schiff geht unter mitsamt der Mannschaft. Nur mein Held überlebt. Früher war Kopra eine sehr wichtige Fracht im Handel mit Haiti, den Fidschiinseln und anderen Regionen, in denen es Palmen gibt. Unter bestimmten Bedingungen entzündet sich Kopra von selbst. Das ist auf einem Holzschiff unter Segeln gleichbedeutend mit der Hölle. Ich denke manchmal, ich könnte meinen Helden so ähnlich konstruieren wie Melville seinen Ishmael. Ein unbedarfter junger Mann, der in Ereignisse von fast mythischer Kraft verwickelt wird.«
    »Das gefällt mir. Schreibe doch einfach einen neuen €›Moby Dick€‹. Das Buch war damals zwar ein Flop, aber das lag sicher an der damaligen Vermarktung und am fehlenden Lektorat, außerdem an einem Zeitgeist, der noch zu nahe am Geschilderten war. Heute ist es anders. Alle sehnen sich nach dem Ungewöhnlichen.«
    Er sah auf die Uhr, winkte die ungewöhnlich hübsche Bedienung herbei und forderte die Rechnung. Dann sagte er: »Im Recherchieren warst du schon immer gut. Deine typische Plotschwäche werden wir schon in den Griff bekommen. «
    Wir gaben uns die Hand. »Du musst dich nicht unter Druck setzen. Das Buch ist auf einem guten Weg.«
    Ich blieb noch eine Weile und trank einen letzten Wein auf eigene Rechnung. »Das war mein Chef«, sagte ich zu der schönen Kellnerin. »Er will, dass ich Erfolg habe mit meinem neuen Werk.« Sie lächelte mit jener professionellen Verständnislosigkeit, die anonymen Trost verleiht, wie ihn auch die Kirche spendet.
    Ich ging zum Bahnhof, ein wenig schwankend, wie einst Henry Morgan in Cardiff, nachdem er in einer berüchtigten Hafenkneipe von einem Seemann ausgenommen worden war. Dann saß ich im Speisewagen und bestellte einen Kaffee. Die Alpen draußen sahen aus wie die Dünung am Kap Hoorn.
 

 

Kapitel 21
    I ch war wieder zurück, wie ein alter Bekannter begrüßt von meinen Wirtsleuten. Carla war nicht da. Auf meine entsprechende Frage hieß es, sie sei im Kino. »Was gibt es denn?«, fragte ich. Carlas Adoptivvater gab Auskunft. »Ein Klassiker. €›Bitterer Reis€‹. Meine Tochter liebt den Film über alles.«
    »Wegen der Hauptdarstellerin«, sagte ich.
    »Ja. Sie ist ganz vernarrt in Silvana Mangano.«
    Ich ging in die Gorillabar, die ganz in der Nähe des Kinos lag. Es gab ein großes Hallo. Luigi, Franco Celli, alle waren sie da.
    »Sarazeno«, sagte Celli. »Du hast uns schon gefehlt mit deinen ewigen Zweifeln und Zögereien.«
    »Wie geht es deinem Alten, Zingaro?«, fragte Luigi.
    Ich spürte, dass eine gewaltige Last von mir abfiel. »Gut«, sagte ich. »Jedenfalls besser als mir. Er bereitet sich auf seinen Tod vor wie auf eine Art Landgang. Er glaubt nämlich, geliebt zu haben. Und das ist im Nachhinein die beste Form, die man dem Gefühl geben kann, ohne rechten Sinn gelebt zu haben. Das Schlimme ist, ich verehre ihn noch immer, ohne einen richtigen Zugang zu ihm zu finden.«
    »Und deine Mutter? Wie steht es um sie?«, fragte Franco Celli.
    »Sie ist schon eine Weile tot. Ich denke viel an sie. Ich kann mich nicht an ihr Gesicht erinnern, als sie eine junge Frau war. Nur ihren Körper sehe ich manchmal deutlich vor mir, ihre Brüste, ihre Haare, aber ihr Gesicht ist ein blinder Fleck. Ich wäre froh, wenn sie mir fremd bleiben könnte. Aber das geht leider nicht. Irgendetwas muss mit mir geschehen sein in der Zeit, in der meine gesichtslose Mutter ein Gesicht bekam. Ich nehme an, es war die Zeit meiner Pubertät. Ich muss herausfinden, was damals los war. Wie geht es Carla? Ist sie noch mit diesem Rastatypen zusammen?«
    »Anscheinend nicht. Sie ist in letzter Zeit ziemlich in sich gekehrt. Sie wirkt, als habe sie etwas vor. Sie soll übrigens eine glänzende Zwischenprüfung in Kunsttheorie gemacht haben. Freut dich das?« Es war Celli, der dies sagte. Und ich musste zugeben, dass ich mich darüber tatsächlich freute.
    »Kunsttheorie, so ein Blödsinn«, sagte Luigi. »Seid ihr dermaßen blind, dass ihr glaubt, die Isobaren auf einer Wetterkarte sind

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