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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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innerhalb von wenigen Augenblicken nach vorne zu preschen; die kurzen Ärmel unterstrichen die sehnige Kraft seiner Arme; das offene Hemd gab den Blick auf die straffe Haut seiner Brust frei.
    Sie wandte den Blick ab, als sie plötzlich erkannte, dass sie zu oft zu ihm nach hinten gesehen hatte. Aber dieser Tag hatte keine Verbindung zur Vergangenheit oder zur Zukunft; ihre Gedanken waren von jeglichen Zusammenhängen abgeschnitten; sie sah keine tiefere Bedeutung, spürte nur die unmittelbare Intensität dieses Gefühls, mit ihm eingesperrt zu sein, mit ihm dieselbe Luft zu atmen, und die Nähe seiner Gegenwart, die diesen Tag für sie noch außergewöhnlicher machte, wie seine Schienen die Fahrt des Zuges zu etwas Außergewöhnlichem machten.
    Sie drehte sich noch einmal bewusst um und blickte ihn an. Er beobachtete sie. Er sah nicht weg, sondern hielt ihrem Blick stand, kühl und fest entschlossen. Sie lächelte trotzig, ohne sich die ganze Bedeutung dieses Lächelns einzugestehen, sie wusste nur, dass es die schärfste Waffe war, die sie in sein starres Gesicht schleudern konnte. Sie fühlte den plötzlichen Wunsch, ihn beben zu sehen, ihm einen Schrei zu entreißen. Langsam, mit einem sorglos vergnügten Gefühl, wandte sie ihren Kopf ab und fragte sich, warum es ihr so schwerfiel zu atmen.
    Sie saß zurückgelehnt auf ihrem Platz, blickte nach vorne und wusste, dass er sie ebenso wahrnahm wie sie ihn. Sie freute sich über das besondere Selbstbewusstsein, das ihr das gab. Wenn sie ihre Beine überkreuzte, wenn sie ihren Arm auf dem Fensterbrett abstützte, wenn sie sich das Haar aus der Stirn strich: Jede Bewegung ihres Körpers war mit einem Gefühl unterlegt, das die uneingestandene Frage beinhaltete: Sieht er es?
    Die Städte lagen hinter ihnen. Die Strecke führte bergan durch eine Landschaft, die immer rauer wurde und immer widerwilliger den Weg freigab. Die Schienen verschwanden immer wieder hinter Kurven, und die Rücken der Hügel näherten sich, als würden die Ebenen in Falten geworfen. Die glatten Felsplatten von Colorado drangen bis an den Rand der Strecke vor – und die Weiten des Himmels zogen sich hinter die Kante der bläulichen Berge zurück.
    Weit vor ihnen erblickten sie Rauchschwaden über Fabrikschloten – dann das Kabelnetz eines Kraftwerkes und die Spitze einer Stahlkonstruktion. Sie näherten sich Denver.
    Sie blickte zu Pat Logan. Er lehnte sich nun etwas weiter nach vorne; sie bemerkte, wie sich seine Finger und seine Augen leicht anspannten. Genau wie sie war er sich der Gefahr bewusst, die es bedeutete, eine Großstadt mit der Geschwindigkeit, mit der sie unterwegs waren, zu durchqueren.
    Es zog sich über mehrere Minuten hin, aber es traf sie wie ein einziger Eindruck. Anfangs sahen sie freistehende Gebäude, Fabriken, die an ihren Fenstern vorbeirollten; dann vermischten sich die Gebäude mit verschwommenen Straßen; als Nächstes erstreckte sich vor ihnen wie die Öffnung eines Trichters ein Schienendreieck, durch das sie in den Taggart-Bahnhof gesaugt wurden, durch nichts geschützt außer durch die kleinen Kugeln aus grünem Licht, die auf dem Boden verstreut waren; aus der Höhe des Führerstandes sahen sie Güterwaggons, die an den Seitengleisen vorbeistreiften wie ein Band von flachen Dächern; das schwarze Loch der Bahnhofshalle flog ihnen ins Gesicht; sie rasten durch eine Geräuschexplosion, das Schlagen von Rädern gegen die Glaspaneele des Gewölbes und die Jubelrufe einer Menge, die sich in der Dunkelheit wie eine Welle zwischen den stählernen Säulen hin- und herbewegte; sie flogen auf einen leuchtenden Bogen zu, und grüne Lichter schienen dahinter in der Luft zu hängen wie Knäufe von Türen, die in den leeren Raum führten und eine nach der anderen vor ihnen aufgestoßen wurden. Schließlich ließen sie die verstopften Straßen, die geöffneten Fenster voller Menschen, die heulenden Sirenen und eine Wolke von schimmernden papiernen Schneeflocken hinter sich, die jemand vom Dach eines entfernten Wolkenkratzers geworfen hatte, während er einen silbernen Pfeil durch eine Stadt schießen sah, die stillstand, um ihn zu beobachten.
    Dann waren sie wieder draußen auf einem felsigen Anstieg, und ganz plötzlich ragten die Berge vor ihnen auf, als hätte die Stadt sie direkt einer Granitwand entgegengeworfen und nur ein schmaler Vorsprung sie rechtzeitig aufgefangen. Sie klammerten sich an die Flanke eines senkrechten Felsens, unter ihnen fiel die Erde wellenförmig in

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