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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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tauchte der Zug kopfüber in die Tiefe. Sie beobachtete, wie die Brücke immer größer wurde, je näher sie kamen. Sie bestand aus einem kleinen quadratischen Tunnel aus metallenem Flechtwerk und einigen Streben, die sich in der Luft überkreuzten und grünblau schimmerten, als sie von einem langen Strahl der untergehenden Sonne getroffen wurden, der durch einen Einschnitt in der Bergkette drang. An der Brücke standen Menschen, der dunkle Fleck einer großen Menge, aber sie nahm sie nur am Rande wahr. Sie hörte das lauter werdende Geräusch der beschleunigenden Räder – und eine Melodie, die im gleichen Rhythmus an ihrem Geist zerrte, immer lauter wurde und plötzlich im Inneren des Führerstandes explodierte, aber sie wusste, es war nur in ihrem Kopf – das fünfte Konzert von Richard Halley. Sie dachte: Hatte er es für diesen Moment geschrieben? Hatte er ein Gefühl wie dieses gekannt? Sie fuhren schneller, sie hatten den Boden verlassen, dachte sie, von den Bergen wie von einem Sprungbrett weggeschleudert, segelten sie nun durch den Raum. Es ist unfair, dachte sie, wir werden diese Brücke nicht berühren. Sie sah Reardens Gesicht über sich, sie blickte ihm in die Augen, und ihr Kopf lehnte sich zurück, sodass ihr Gesicht regungslos unter seinem ruhte. Sie hörten den kreischenden Aufprall auf Metall, sie hörten einen Trommelwirbel unter ihren Füßen, die Diagonalverstrebungen der Brücke ratterten mit einem Geräusch an den Fenstern vorbei, als streifte man mit einem Metallstab über einen Lattenzaun. Dann, mit einem Mal, waren die Fenster wieder frei, der Schwung ihrer Talfahrt trug sie auf einen Hügel hinauf, bis die Bohrtürme von Wyatt Oil vor ihnen aufragten. Pat Logan drehte sich um und blickte mit einem leichten Lächeln zu Rearden hoch – und Rearden sagte: „Das wär’s.“
    Auf dem Schild, das an einer Dachtraufe angebracht war, stand: W YATT J UNCTION . Sie starrte es an und hatte das Gefühl, dass etwas damit nicht stimmte, bis sie erkannte, was es war: Das Schild bewegte sich nicht. Der heftigste Schock ihrer Reise war die Erkenntnis, dass die Lokomotive stillstand.
    Von irgendwoher hörte sie Stimmen, sie blickte nach unten und sah, dass auf dem Bahnsteig Menschen standen. Dann wurde die Tür zum Führerstand aufgestoßen. Sie wusste, dass sie als Erste aussteigen musste, und trat an die Rampe. Einen kurzen Augenblick lang nahm sie die Schlankheit ihres Körpers wahr, die Leichtigkeit, mit der ihre ganze Gestalt in einer Brise frischer Luft stand. Sie umfasste die metallenen Haltegriffe und begann, die Leiter hinabzusteigen. Als sie an der Hälfte angelangt war, fühlte sie, wie sie von den Händen eines Mannes fest um ihre Rippen und Taille gepackt, von den Sprossen gezogen, durch die Luft gewirbelt und auf den Boden aufgesetzt wurde. Sie konnte kaum glauben, dass der junge Mann, der in ihr Gesicht lachte, Ellis Wyatt war. Das angespannte, verächtliche Gesicht, das sie in Erinnerung hatte, war nun von der Reinheit, der Begeisterung und fröhlichen Gutmütigkeit eines Kindes in einer Welt, wo er hingehörte.
    Sie lehnte an seiner Schulter, stand mit wackligen Beinen auf dem bewegungslosen Untergrund. Er hatte den Arm um sie gelegt, sie lachte, lauschte den Dingen, die er sagte, und antwortete: „Aber haben Sie denn nicht gewusst, dass wir das schaffen würden?“
    Einen Augenblick später bemerkte sie die Gesichter um sich herum. Es waren die Anleihegläubiger der John-Galt-Linie, die Männer hinter Nielsen Motors, Hammond Cars, Stockton Foundry und all den anderen Firmen. Sie schüttelte ihre Hände, Ansprachen gab es nicht. Sie lehnte sich ermattet und etwas in sich zusammengesunken an Ellis Wyatt, strich das Haar aus den Augen und hinterließ dabei Rußspuren auf ihrer Stirn. Ohne Worte, aber begleitet von dem breiten Lachen in ihren Gesichtern schüttelte sie den Mitgliedern der Zugbesatzung die Hände. Ringsum leuchteten Blitzlichter auf, und von den Gerüsten der Bohrtürme oben auf den Berghängen winkten ihnen Männer zu. Über ihrem Kopf, über den Köpfen der Menge, traf der letzte Strahl der untergehenden Sonne die Buchstaben TT auf einem silbernen Schild.
    Ellis Wyatt hatte das Kommando übernommen. Er führte sie fort, indem er ihnen mit einer schwungvollen Armbewegung einen Weg durch die Menge bahnte, als einer der Männer mit den Kameras sich an ihre Seite durchkämpfte. „Miss Taggart“, rief er, „wollen Sie uns nicht eine Botschaft für die Öffentlichkeit

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