Der Streik
richtig oder falsch? Erlaubt es die Beschaffenheit atmosphärischer Elektrizität, diese in kinetische Energie umzuwandeln – richtig oder falsch? Den Antworten auf derlei Fragen habt ihr euer gesamtes Hab und Gut zu verdanken – und die Antworten entstammen dem Verstand eines Menschen, einem Verstand, der kompromisslos dem verpflichtet ist, was richtig ist.
Ein rationaler Prozess ist ein moralischer Prozess. Ihr könnt dabei jederzeit einen Fehler begehen; davor schützt euch nur eure eigene Strenge. Oder ihr könnt versuchen zu betrügen, Beweise zu fälschen und anstrengenden Forschungen aus dem Weg zu gehen. Ist aber Wahrheitstreue das Kennzeichen einer moralischen Gesinnung, dann gibt es keine größere, edlere und heroischere Form von Treue als die Tat eines Menschen, der die Verantwortung des Denkens auf sich nimmt.
Das, was ihr eure Seele oder euren Geist nennt, ist euer Bewusstsein, und das, was ihr einen ‚freien Willen‘ nennt, ist die Freiheit eures Verstandes zu denken oder nicht zu denken, denn das ist die einzige Wahl, die ihr habt, eure einzige Freiheit, die Entscheidung, die all eure nachfolgenden Entscheidungen beeinflusst und euer Leben und euren Charakter prägt.
Denken ist des Menschen einzige Grundtugend, aus der alle übrigen folgen. Und sein Grundlaster, die Wurzel alles Bösen in ihm, ist jene unaussprechliche Tat, die ihr alle praktiziert, aber nie zugeben wollt: das Ausblenden, die bewusste Aufhebung des eigenen Bewusstseins, die Weigerung zu denken – nicht Blindheit, sondern die Weigerung zu sehen, nicht Unwissenheit, sondern die Weigerung zu erkennen, das Zerstreuen des eigenen Verstandes und das Erzeugen eines inneren Nebels, um der Verantwortung des Urteilens zu entkommen – unter der unausgesprochenen Prämisse, dass ein Gegenstand nicht existiert, solange ihr euch weigert, ihn zu identifizieren, dass A nicht gleich A ist, solange ihr nicht urteilt: ‚Es ist. ‘ Nichtdenken ist ein Akt der Vernichtung, der Wunsch, die Existenz zu negieren, der Versuch, die Wirklichkeit zu tilgen. Doch Existenz existiert; die Wirklichkeit lässt sich nicht auslöschen, sondern wird ihrerseits denjenigen auslöschen, der den Versuch dazu unternimmt. Indem ihr euch weigert zu sagen: ‚Es ist‘, weigert ihr euch zu sagen: ‚Ich bin.‘ Indem ihr euer eigenes Urteilsvermögen aufhebt, negiert ihr eure eigene Person. Erklärt ein Mensch: ‚Mir steht kein Urteil zu‘, erklärt er: ‚Mir steht kein Leben zu.‘
Darin besteht jederzeit und in jeder Angelegenheit eure grundlegende moralische Wahl: Denken oder Nichtdenken, Existieren oder Nichtexistieren, A oder Nicht-A, Entität oder Null.
Soweit ein Mensch rational ist, ist das Leben die Prämisse, nach der er handelt. Soweit er irrational ist, ist der Tod die Prämisse, nach der er handelt.
Euch, die ihr daherplappert, Moral sei eine soziale Angelegenheit und auf einer einsamen Insel bräuchte man sie nicht, sage ich: Auf einer einsamen Insel bräuchte man sie am meisten. Soll der Gestrandete doch ohne Opfer, die dafür büßen, versuchen zu behaupten, ein Fels sei ein Haus, der Sand sei Kleidung, Speisen würden ohne Ursache oder Anstrengung in seinen Mund fallen, er werde morgen eine Ernte einfahren, indem er sein Saatgut heute verzehre – die Wirklichkeit wird ihn auslöschen, wie er es verdient; die Wirklichkeit wird ihn lehren, dass das Leben ein zu erkaufender Wert ist, den man nur durch Denken bezahlen kann.
Würde ich eure Sprache sprechen, würde ich sagen, das einzige moralische Gebot für den Menschen lautet: Du sollst denken. Doch ein ‚moralisches Gebot‘ ist ein Widerspruch in sich. Moral ist das Gewählte, nicht das Erzwungene; das Verstandene, nicht das Befolgte. Moral ist das, was rational ist, und Vernunft kennt keine Gebote.
Meine Moral, die Moral der Vernunft, ist in einem einzigen Axiom enthalten: Existenz existiert – und in einer einzigen Entscheidung: zu leben. Alles andere folgt daraus. Um zu leben, muss der Mensch drei Dinge als die höchsten und maßgebenden Werte in seinem Leben betrachten: Vernunft – Zielgerichtetheit – Selbstachtung. Vernunft als sein einziges Werkzeug zur Erlangung von Erkenntnis; Zielgerichtetheit als seine Entscheidung für das Glück, das zu erreichen jenes Werkzeug ihm dienen muss; Selbstachtung als seine unantastbare Sicherheit, dass sein Verstand in der Lage ist zu denken und seine Person des Glückes würdig ist, das heißt: würdig zu leben. Diese drei Werte implizieren und
Weitere Kostenlose Bücher