Der Streik
‚Selbstlosigkeit‘ geknüpft ist, die ihr zwar nie besessen oder praktiziert, aber doch über so viele Jahre hinweg zu besitzen vorgegeben habt, dass der Gedanke, sie aufzugeben, euch mit Angst und Schrecken erfüllt. Kein Wert ist höher als die Selbstachtung, doch ihr habt in vorgetäuschte Sicherheiten investiert – und nun hat eure Moral euch in eine Falle gelockt, in der ihr gezwungen seid, eure Selbstachtung zu schützen, indem ihr den Glauben an die Selbstzerstörung verfechtet. Die Zeche bezahlt ihr selbst: Die Notwendigkeit der Selbstachtung, die ihr weder erklären noch definieren könnt, gehört nicht zu eurer, sondern zu meiner Moral; sie ist das Zeichen für die Objektivität meines Kodexes, mein in euren Seelen verankerter Beweis.
Aufgrund eines Gefühls, das er nicht zu identifizieren gelernt, sich aber aus dem ersten Bewusstwerden seiner Existenz und aus der Entdeckung der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, erschlossen hat, weiß der Mensch, dass sein verzweifeltes Bedürfnis nach Selbstachtung eine Frage von Leben oder Tod ist. Als ein Wesen mit einem bewussten Willen weiß er, dass er sich seines eigenen Wertes bewusst sein muss, um am Leben zu bleiben. Er weiß, dass er im Recht sein muss; unrecht zu handeln bedeutet Lebensgefahr; unrecht zu sein, böse zu sein, bedeutet, nicht lebensfähig zu sein.
Jede Handlung im Leben eines Menschen muss gewollt sein; selbst das Beschaffen oder Essen von Nahrungsmitteln bedingt, dass der dadurch am Leben erhaltene Mensch erhaltenswert sei; jedes Vergnügen, dem er nachgeht, bedingt, dass er des Vergnügens wert sei. Er hat keine Wahl in Bezug auf sein Bedürfnis nach Selbstachtung; freigestellt ist ihm lediglich die Wahl des Maßstabs, an dem die Selbstachtung zu messen sei. Und er begeht einen tödlichen Fehler, wenn er dieses Maß, das sein Leben schützt, zu seiner eigenen Zerstörung einsetzt, wenn er einen existenzfeindlichen Maßstab wählt und seine Selbstachtung der Wirklichkeit entgegensetzt.
Grundlose Selbstzweifel aller Art, Gefühle von Minderwertigkeit und heimlicher Unwürdigkeit sind in Wirklichkeit unterdrückte Angst des Menschen vor der eigenen Unfähigkeit, mit der Existenz fertig zu werden. Doch je größer sein Entsetzen, desto verzweifelter klammert er sich an die mörderischen Lehren, die ihn erdrosseln. Niemand überlebt den Augenblick, in dem er sich selbst als unrettbar böse bezeichnet; wenn er es täte, wären Wahn oder Selbstmord die unmittelbare Folge. Um dem zu entgehen, wird er – wenn er einen irrationalen Maßstab gewählt hat – auf Verfälschung, Abwehr und Ausblendung verfallen; er wird sich selbst um die Wirklichkeit, die Existenz, das Glück, den Verstand betrügen; und schließlich wird er sich auch um seine Selbstachtung betrügen, indem er darum kämpft, die Illusion von Selbstachtung aufrechtzuerhalten, anstatt die Entdeckung zu riskieren, dass er keine Selbstachtung hat. Angst zu haben, einem Problem ins Auge zu sehen, heißt zu glauben, dass das Schlimmste wahr ist.
Nicht ein einstmals begangenes Verbrechen belädt eure Seele mit dauerhafter Schuld, keiner eurer Fehler, Irrtümer oder Makel, sondern dass ihr diese auszublenden versucht, um sie abzuwehren; nicht eine Art Erbsünde oder eine unbekannte vorgeburtliche Behinderung, sondern das Wissen um euer grundlegendes Versäumnis, nämlich die Suspendierung eures Verstandes, die Weigerung zu denken. Ihr empfindet ständig Furcht und Schuld; diese Gefühle sind echt, und ihr habt sie verdient, doch entwickeln sie sich nicht aus den oberflächlichen Gründen, die ihr ersinnt, um ihre wahre Ursache zu vertuschen, nicht aus eurer ‚Selbstsucht‘, Schwäche oder Unwissenheit, sondern aus einer wirklichen und grundlegenden Bedrohung eurer Existenz: Furcht , weil ihr die Waffe, die euer Überleben sichert, verworfen habt, Schuld , weil ihr wisst, dass ihr es willentlich getan habt.
Das Selbst, das ihr betrogen habt, ist euer Verstand; Selbstachtung heißt Vertrauen auf das eigene Denkvermögen. Das Ego, das ihr sucht, das wesenhafte Ich, das ihr weder ausdrücken noch definieren könnt, besteht nicht aus euren Gefühlen oder unverständlichen Träumen, sondern aus eurem Intellekt, jenem Richter an eurem obersten Gerichtshof, den ihr seines Amtes enthoben habt, um euch jedem dahergelaufenen Gauner auszuliefern, den ihr als euer ‚Gefühl‘ bezeichnet. Dann schleppt ihr euch durch eine selbstgeschaffene Nacht, auf der verzweifelten Suche nach einem
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