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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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namenlosen Feuer, getrieben durch eine verblassende Vision eines Tagesanbruchs, die ihr einst hattet und verloren habt.
    Bedenkt, wie hartnäckig die Mythen der Menschheit die Legende von einem Paradies erzählen, das der Mensch einst besaß – die Stadt Atlantis, einen Garten Eden oder irgendein Königreich der Vollkommenheit – und das stets in der Vergangenheit angesiedelt ist. Jene Legende wurzelt nicht in der Vergangenheit der Menschheit, sondern in der Vergangenheit eines jeden einzelnen Menschen. Bis heute habt ihr eine Ahnung davon bewahrt – nicht so klar wie eine Erinnerung, sondern verschwommen wie der Schmerz einer hoffnungslosen Sehnsucht –, dass ihr irgendwann in den frühen Jahren eurer Kindheit, ehe ihr gelernt habt, euch unterzuordnen, das Grauen der Unvernunft zu absorbieren und den Wert eures Verstandes anzuzweifeln, einen leuchtenden Daseinszustand gekannt habt, die Unabhängigkeit eines rationalen Bewusstseins im Angesicht eines offenen Universums. Das ist das Paradies, das ihr verloren habt und nach dem ihr trachtet – ihr könnt es haben.
    Einige von euch werden nie erfahren, wer John Galt ist. Aber diejenigen unter euch, die auch nur einen einzigen Augenblick kannten, in denen sie die Existenz geliebt haben und stolz darauf waren, dieser Liebe würdig zu sein, einen Augenblick, in dem sie ihren Blick billigend auf die Erde richteten, wissen, was es heißt, ein Mensch zu sein, und ich – ich bin schlicht der Mensch, der wusste, dass dieser Zustand nicht verraten werden darf. Ich bin der Mensch, der wusste, was ihn ermöglicht hat, und der sich entschieden hat, beständig das zu praktizieren und zu sein, was ihr in jenem einzigen Augenblick praktiziert habt und wart.
    Ihr habt die Wahl. Diese Wahl – die Hingabe an euer höchstes Potenzial – wird getroffen, indem ihr die Tatsache akzeptiert, dass die edelste Tat, die ihr je vollbracht habt, diejenige eures Verstandes war, als er begriff, dass zwei und zwei vier ergibt.
    Wer auch immer ihr seid – ihr, die ihr in diesem Augenblick allein mit meinen Worten seid und nichts als eure Ehrlichkeit habt, um sie zu verstehen –, noch könnt ihr euch entscheiden, ein Mensch zu sein, doch müsst ihr dazu noch einmal ganz von vorn anfangen, nackt der Wirklichkeit ins Angesicht sehen und einen schwerwiegenden historischen Fehler wiedergutmachen, indem ihr erklärt: Ich bin, also werde ich denken.
    Akzeptiert die unwiderrufliche Tatsache, dass euer Leben von eurem Verstand abhängt. Gebt zu, dass euer ganzer Kampf, eure Zweifel, eure Schwindeleien, eure Ausflüchte die verzweifelte Suche nach einem Ausweg aus der Verantwortung eines bewussten Willens waren – die Suche nach automatischer Erkenntnis, instinktiven Handlungen, intuitiver Gewissheit – und dass ihr, als ihr vorgabt, euch nach einem engelsgleichen Zustand zu sehnen, in Wirklichkeit einen animalischen Zustand angestrebt habt. Erkennt als euer moralisches Ideal die Aufgabe der Menschwerdung an.
    Sagt nicht, dass ihr es nicht wagt, euch auf euren Verstand zu verlassen, weil ihr so wenig wisst. Ist es sicherer, sich den Mystikern zu ergeben und das wenige eigene Wissen zu verwerfen? Lebt und handelt innerhalb der Grenzen eures Wissens und erweitert es, solange ihr lebt. Löst euren Verstand aus den Pfandhäusern der Amtsgewalt aus. Akzeptiert die Tatsache, dass ihr nicht allwissend seid, dass ihr es aber auch nicht werdet, wenn ihr euch als lebende Tote gebärdet; dass euer Verstand fehlbar ist, dass ihr aber auch nicht unfehlbar werdet, wenn ihr euren Verstand aufgebt; dass ein selbst begangener Fehler sicherer ist als zehn im Glauben akzeptierte Wahrheiten, weil Ersteres euch noch das Mittel lässt, den Fehler richtigzustellen, aber Letzteres eure Fähigkeit, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden, zerstört. Statt von einem allwissenden Roboter zu träumen, akzeptiert die Tatsache, dass der Mensch sein gesamtes Wissen aus eigenem Antrieb und durch eigene Anstrengung erwirbt, dass das ihn unter allen anderen Wesen auszeichnet, dass das seine Natur, seine Moral und seine Herrlichkeit ist.
    Gebt die unbegrenzte Erlaubnis zum Bösen auf, die in der Behauptung besteht, der Mensch sei unvollkommen. Nach wessen Maßstab verdammt ihr den Menschen, wenn ihr das behauptet? Akzeptiert die Tatsache, dass im Bereich der Moral Vollkommenheit gefordert ist. Aber Vollkommenheit darf nicht an den Geboten der Mystiker gemessen werden, die Unmögliches verlangen, und eure moralische Haltung darf sich

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