Der Streik
hat euch gelehrt, alle Gedanken in Nebel aufzulösen, keine festen Definitionen zuzulassen, jeden Begriff als Annäherung und jede Verhaltensregel als dehnbar zu betrachten, jedes Prinzip einzuschränken, im Hinblick auf jeden Wert Kompromisse einzugehen, in allen Dingen den Mittelweg zu wählen. Indem er euch genötigt hat, übernatürliche Absoluta anzuerkennen, hat er euch gezwungen, das Absolute der Natur zurückzuweisen. Indem er moralische Urteile unmöglich gemacht hat, hat er euch außerstande gesetzt, rationale Urteile zu fällen. Ein Kodex, der euch verbietet, den ersten Stein zu werfen, hat euch verboten, Steine als solche zu identifizieren und zu erkennen, wann und ob ihr selbst gesteinigt werdet.
Der Mensch, der sich weigert zu urteilen, der weder zustimmt noch ablehnt, der erklärt, es gebe nichts Absolutes und glaubt, damit jeder Verantwortung zu entgehen, ist der Mensch, der für all das Blutvergießen in der heutigen Welt verantwortlich ist. Die Wirklichkeit ist absolut, Existenz ist absolut, ein Staubkörnchen ist absolut, und auch das Leben eines Menschen ist absolut. Ob ihr lebt oder sterbt, ist absolut. Ob ihr ein Stück Brot habt oder nicht, ist absolut. Ob ihr euer Brot esst oder mit ansehen müsst, wie es im Rachen eines Plünderers verschwindet, ist absolut.
Jedes Ding hat zwei Seiten: Eine Seite ist richtig, und die andere ist falsch, doch der Mittelweg ist immer böse. Wer im Unrecht ist, bewahrt immer noch einen gewissen Respekt der Wahrheit gegenüber, und sei es nur, indem er die Verantwortung einer Entscheidung auf sich nimmt. Den Mittelweg hingegen wählt der Schurke, der die Wahrheit ausblendet, um so tun zu können, als gäbe es keine Wahl und keine Werte; der bereit ist, eine jede Schlacht auszusitzen, sich am Blut der Unschuldigen zu bereichern oder sich vor den Schuldigen auf den Boden zu werfen; der Recht spricht, indem er sowohl den Räuber als auch die Beraubten ins Gefängnis werfen lässt; der Konflikte löst, indem er dem Denker und dem Narren befiehlt, sich auf halbem Wege entgegenzukommen. Bei jedem Kompromiss zwischen Speisen und Gift kann nur der Tod gewinnen. Bei jedem Kompromiss zwischen Gut und Böse kann nur das Böse gewinnen. Werden die Guten zur Ader gelassen, um die Bösen mit Blut zu versorgen, dann schließt die Kanüle, durch die das Blut fließt, den Kompromiss.
Ihr Halbvernünftigen und Halbfeiglinge habt ein betrügerisches Spiel mit der Wirklichkeit getrieben, aber ihr habt euch dabei selbst hintergangen. Betrachtet der Mensch seine Tugenden als bloße Annäherungen, gewinnt das Böse die Kraft eines Absolutums; legen die Tugendhaften ihre Treue zu einem unbedingten Zweck ab, übernehmen die Gauner das Feld – und wir sehen das anstößige Schauspiel eines kriecherischen, feilschenden, verräterischen Guten und eines selbstgerechten, kompromisslosen Bösen. Ihr habt euch den Mystikern der Muskeln ergeben, als sie euch sagten, der Anspruch auf Wissen kennzeichne den Unwissenden, und ebenso ergebt ihr euch ihnen jetzt, wenn sie kreischen, ein moralisches Urteil kennzeichne den Unmoralischen. Brüllen sie, es sei selbstsüchtig, sich seines Rechts sicher zu sein, versichert ihr ihnen eilfertig, ihr wärt euch keiner Sache sicher. Rufen sie, es sei unmoralisch, zu seinen Überzeugungen zu stehen, versichert ihr ihnen, ihr hättet keinerlei Überzeugungen. Werfen die Ganoven in den Volksstaaten Europas euch Intoleranz vor, weil ihr euren Wunsch zu leben und ihren Wunsch, euch zu töten, nicht als bloße Meinungsverschiedenheit betrachtet, zuckt ihr zusammen und versichert ihnen eilfertig, ihr seiet keiner Schreckenstat gegenüber intolerant. Schreit irgendein barfüßiger Bettler in irgendeinem Pestloch Asiens euch an: Wie könnt ihr es wagen, reich zu sein? – dann entschuldigt ihr euch, bittet ihn um Geduld und versprecht ihm, euer gesamtes Hab und Gut herzugeben.
Ihr seid am Ende der Sackgasse des Verrats angekommen, den ihr begingt, als ihr akzeptiert habt, dass ihr kein Recht habt zu existieren. Zunächst dachtet ihr, es sei ‚nur ein Kompromiss‘: Ihr räumtet ein, dass es böse sei, für euch selbst, aber moralisch, um eurer Kinder willen zu leben. Dann räumtet ihr ein, es sei selbstsüchtig, für eure Kinder, aber moralisch, für eure Gemeinschaft zu leben. Dann räumtet ihr ein, es sei selbstsüchtig, für eure Gemeinschaft, aber moralisch, für euer Land zu leben. Und jetzt lasst ihr zu, dass dieses großartigste aller Länder von jeglichem
Weitere Kostenlose Bücher