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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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– stiegen schluchzend in die Planwagen und klammerten sich dabei an ihre zierlichen Schminkköfferchen.
    „Treten Sie näher, meine Damen und Herren, treten Sie näher!“, rief der Marktschreier leutselig. „Wir schaffen für jeden Platz! Es wird ein bisschen eng, aber wir kommen vorwärts – und das ist besser, als hier als Kojotenfutter zurückgelassen zu werden! Die Tage des Dampfrosses sind gezählt! Jetzt bleibt uns nur der gewöhnliche altmodische Gaul! Langsam, aber zuverlässig!“
    Eddie Willers kletterte die Leiter an der Seite der Lokomotive halb hinab, um die Menschentraube zu sehen und von ihr gehört zu werden. Er winkte mit einem Arm und hielt sich mit dem anderen an den Leitersprossen fest. „Sie werden doch nicht gehen wollen?“, rief er den Passagieren zu. „Sie verlassen doch nicht etwa den Comet?“
    Sie rückten ein wenig von ihm ab, als wollten sie ihm weder ins Gesicht sehen noch antworten. Sie wollten keine Fragen hören, die ihren Verstand überforderten. Er sah die Gesichter voll blinder Panik.
    „Was ist mit dem Schmiermaxen los?“, fragte der Marktschreier, indem er auf Eddie zeigte.
    „Mr. Willers“, sagte der Zugführer leise, „es hat keinen Zweck …“
    „Lassen Sie den Comet nicht im Stich!“, schrie Eddie Willers. „Geben Sie ihn nicht auf! Oh Gott, geben Sie ihn nicht auf!“
    „Haben Sie den Verstand verloren?“, brüllte der Marktschreier. „Sie haben keine Vorstellung davon, was sich an Ihren Bahnhöfen und in Ihrer Leitstelle abspielt! Dort rennen alle herum wie aufgescheuchte Hühner! Ich glaube nicht, dass es morgen früh diesseits des Mississippi noch irgendwo eine intakte Eisenbahngesellschaft geben wird!“
    „Fahren Sie lieber hier mit, Mr. Willers“, sagte der Zugführer.
    „Nein!“, schrie Eddie und klammerte sich an die Leitersprossen, als wollte er mit ihnen verwachsen.
    Der Marktschreier zuckte mit den Schultern. „Gut, es ist schließlich Ihr Begräbnis!“
    „Wohin fahren Sie?“, fragte der Lokführer, ohne Eddie anzusehen.
    „Wir fahren einfach drauflos, mein Freund! Wir suchen einen Ort, an dem wir bleiben können … irgendwo. Wir kommen aus Imperial Valley in Kalifornien. Die Meute von der ‚Volkspartei‘ hat sich unsere Ernte und sämtliche Lebensmittel, die wir in den Kellern gelagert hatten, unter den Nagel gerissen. ‚Hamstern‘ nannten sie es. Also sind wir einfach auf und davon. Man muss nachts reisen, wegen der Meute aus Washington. … Wir suchen einfach nach irgendeinem Platz, an dem wir leben können. … Sie können gern mitkommen, mein Freund, wenn Sie kein Zuhause haben – oder sonst können wir Sie auch irgendwo in der Nähe einer Stadt absetzen.“
    Die Leute in dieser Karawane sahen zu schäbig aus, um eine geheime, freie Siedlung zu gründen, dachte Eddie gleichgültig, und nicht schäbig genug, um zu einer Räuberbande zu werden. Sie würden wie der Lichtstrahl des Zugscheinwerfers nirgendwo ankommen, sondern sich in der Einöde des Landes auflösen.
    Er blieb auf der Leiter stehen und sah zu dem Lichtstrahl auf. Er sah nicht hin, als die letzten Passagiere, die je im Taggart Comet gefahren sein würden, in die Planwagen umstiegen.
    Der Zugführer ging als Letzter. „Mr. Willers!“, rief er verzweifelt. „Kommen Sie mit!“
    „Nein“, sagte Eddie.
    Der Marktschreier winkte mit dem Arm zu Eddie hinauf, der über ihren Köpfen an der Seite der Lokomotive hing. „Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun!“, schrie er halb drohend, halb flehend. „Vielleicht kommt irgendjemand des Weges und nimmt Sie mit – in einer Woche oder in einem Monat! Vielleicht! Wer wird heutzutage schon hier vorbeikommen?“
    „Verschwinden Sie“, sagte Eddie Willers.
    Er kletterte zurück in den Führerstand, während die Planwagen sich mit einem Ruck in Bewegung setzten und schaukelnd und ächzend in der Dunkelheit verschwanden. Er saß auf dem Führersitz einer unbeweglichen Lokomotive und legte die Stirn auf die nutzlos gewordene Drosselklappe. Er kam sich vor wie der Kapitän eines in Seenot geratenen Überseedampfers, der lieber mit seinem Schiff unterging, als sich von Wilden in einem Kanu retten zu lassen, die ihm weiszumachen versuchen, ihr Boot sei das bessere.
    Dann stieg mit einem Mal ein blinder, verzweifelter, gerechter Zorn in ihm auf. Er sprang auf und packte die Drosselklappe. Er musste diesen Zug in Gang bringen; im Namen eines Sieges, den er nicht benennen konnte, musste er den Motor anlassen.
    In einem Zustand

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