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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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jenseits von Denken, Berechnung und Angst, getrieben von einem Gefühl rechtschaffener Auflehnung, zog er beliebige Hebel, riss die Drosselklappe vor und zurück, trat auf das defekte Totmannpedal und versuchte sich eine Vision zu vergegenwärtigen, die ihm zum Greifen nah und doch wiederum fern erschien, denn er wusste, dass sein verzweifelter Kampf von ihr ausging und in ihr seinen Sinn hatte.
    Gib es nicht auf!, rief eine Stimme in ihm – während er sich die Straßen von New York vorstellte. Gib es nicht auf! – während er sich die Signalleuchten der Eisenbahn vorstellte. Gib es nicht auf! – während er sich den Rauch vorstellte, der stolz aus Fabrikschornsteinen aufstieg, während er versuchte, den Rauch zu durchdringen und die Vision zu erfassen, die diesen Vorstellungen zugrunde lag.
    Er zog an Drahtspulen, verknüpfte die Drähte und riss sie wieder auseinander – als plötzlich eine Erinnerung an Sonnenstrahlen und Pinienbäume leise in ihm aufstieg. Dagny!, hörte er sich stimmlos ihren Namen ausrufen … Dagny, im Namen des Besten in uns! … Er riss an wirkungslosen Hebeln und an einer Drosselklappe, die nichts mehr zu bewegen hatte. … Dagny! … Er rief nach einem zwölfjährigen Mädchen auf einer sonnigen Waldlichtung … Im Namen des Besten in uns muss ich jetzt diesen Zug in Gang bringen! … Dagny, das war es … und du hast es schon damals gewusst, aber ich nicht … du wusstest es, als du dich umgedreht und auf die Schienen geblickt hast. … Ich sagte, „nicht Geschäfte machen oder Geld verdienen“ … aber, Dagny, Geschäfte machen und Geld verdienen und das im Menschen, was das ermöglicht – das ist das Beste in uns, das war es, was es zu verteidigen galt … um das zu retten, muss ich jetzt diesen Zug in Gang bringen, Dagny …
    Als er sich zusammengebrochen auf dem Boden des Führerstandes wiederfand und sich dessen bewusst wurde, dass es hier nichts mehr gab, was er noch hätte tun können, stand er auf und stieg die Leiter hinunter. Er dachte matt an die Räder der Lokomotive, obgleich er wusste, dass der Lokomotivführer sie überprüft hatte. Er spürte das Knirschen des Wüstensandes unter seinen Füßen, als er sich auf den Boden fallen ließ. Er stand still und hörte in der ungeheuren Stille das Rascheln des Salzkrauts, das sich in der Dunkelheit regte, als wäre es das Kichern einer unsichtbaren Armee, die sich frei bewegen konnte, während der Comet stillstand. Er hörte ein deutlicheres Rascheln in der Nähe – und sah die grauen Umrisse eines Kaninchens, das sich auf seine Hinterläufe stellte, um an den Stufen eines Waggons des Taggart Comet zu schnuppern. In einem Anflug mörderischer Wut machte er einen Satz auf das Kaninchen zu, als könnte er das Heranrücken des Feindes in Gestalt dieses kleinen grauen Wesens abwehren. Das Kaninchen sprang in die Dunkelheit davon – aber er wusste, dass der Angriff damit nicht abgewehrt war.
    Er trat vor die Lokomotive und blickte hinauf zu den Buchstaben TT. Dann brach er auf den Schienen zusammen und lag schluchzend zu Füßen der Lokomotive, während der reglose Strahl des Scheinwerfers über ihm in die unendliche Nacht wies.
    *
    Die Klänge von Richard Halleys fünftem Konzert strömten von seinem Klavier aus durch das Fenster und breiteten sich in der Luft und über den Lichtern des Tals aus. Es war eine Sinfonie des Triumphes. Die Klänge wallten auf, kündeten von Erhebung und waren selbst Erhebung. Sie waren das Wesen und die Form von Aufwärtsbewegung, sie schienen jede vom Wunsch nach Fortschritt bestimmte menschliche Handlung und jeden ambitionierten Gedanken zu verkörpern. Es war eine Klangeruption, die aus dem Nichts hervorbrach und sich rückhaltlos ausbreitete. Sie stand für Freiheit und Erlösung, Kraft und Zielstrebigkeit. Sie wischte den Staub vom Dasein und ließ nichts zurück als die Freude ungehinderter Schaffenslust. Nur ein leiser Nachhall in den Klängen kündete von dem, dem die Musik entronnen war, aber heiter und erstaunt über die Entdeckung, dass weder Hässlichkeit noch Schmerz existierten und niemals hätten existieren müssen. Es war ein Hohelied auf eine gewaltige Erlösung.
    Die Lichter des Tals fielen als leuchtende Flecken auf die Schneedecke, die noch auf dem Boden lag. Auch auf den Felsvorsprüngen aus Granit und den schweren Ästen der Pinien lagen harte Schneeplatten. Doch die kahlen Äste der Birken ragten leicht aufwärts, wie als sicheres Versprechen künftiger

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