Der stumme Tod
hier einfach nur unfreundlich. «
»Ich weiß nicht«, sagte Charly. »Immerhin wissen wir jetzt, dass Gereon hier war.«
» Ja, aber sein Auto hab ich nirgends gesehen. Also wird er wohl
wieder gefahren sein.« »Und wohin?« »Keine Ahnung.«
»Was, wenn er mitsamt Auto längst im Wannsee liegt?« »Nun übertreib mal nicht. Kein Grund, panisch zu werden.« »Ich bin nicht panisch.«
Wieder hörten sie Schritte. Diesmal schien die Tür sich noch langsamer zu öffnen als beim ersten Mal.
Kapitel 56
Er wusste nicht, wie lange er schon ausharrte in dieser Stellung, aber es kam ihm vor wie Stunden. Sein krummer Rücken
schmerzte höllisch und ließ ihn im Augenblick sogar die Kopfschmerzen vergessen. Er hätte alles dafür gegeben, sich einmal langmachen zu können, aber es ging nicht.
Sollte er nach Elisabeth Marquard rufen? Es machte durchaus einen Unterschied, in diesem Kasten hier zu verrecken oder halbwegs würdevoll in ihrem goldenen Käfig zu sterben. Er verfluchte sich. Wie hatte er nur auf so eine Schnapsidee kommen können? Jetzt hockte er hier in der Falle! Was für ein Tod! In einem Speiseaufzug! Da war es ja fast ein Trost, dass sie seine Leiche nicht hier finden würden!
Plötzlich meinte er, etwas zu hören. Tatsächlich! Da pfiff jemand eine unbekümmerte Melodie. Es gab ein blechern hohles Geräusch, als Rath gegen die stählerne Tür trat. Das hatte er vorhin, als er hier unten angekommen war, auch schon versucht, doch niemand hatte darauf reagiert. Wahrscheinlich weil niemand mehr in der Küche war.
Aber jetzt! Er trat noch einmal gegen die Tür, so fest er das mit angewinkelten Beinen und krummem Rücken fertigbrachte. Die Schritte näherten sich, schließlich hörte Rath, wie jemand die Aufzugtür entriegelte. Dann, endlich, fiel Licht in seinen engen, dunklen Käfig, und Rath blinzelte zwischen seinen Knien hindurch in das überraschte Gesicht eines Chinesen. Rath war dem Mann dankbar und wollte ihm keineswegs wehtun, aber er konnte nicht anders, er musste endlich seine Beine ausstrecken. Und traf seinen Retter dabei genau am Kinn.
Rath schob sich aus dem Aufzug. Der Chinese lag auf den hellgrau marmorierten Kacheln und rührte sich nicht.
Rath schaute sich um, konnte kaum noch klar denken, seine schmerzenden Knochen ignorierte er, es war höchste Zeit. Auf der Arbeitsfläche stand eine Schütte mit weißem Pulver; er stürzte hin und probierte.
Salz!
Das durfte doch nicht wahr sein! Er war in einer Küche, hier musste es doch irgendwo Zucker geben! Rath schaute in die Schränke, fand nur Töpfe, Schüsseln, Teller. Wo lagerten hier die Vorräte? Immer hektischer schaute er sich um.
Schnell! Aber bloß nicht panisch werden. Was suchte er noch gleich?
Da, neben der großen Anrichte.
Eine kleine, unscheinbare Tür, er stolperte hinüber und öffnete sie.
Die Speisekammer. Endlich!
Er hatte das Paradies gefunden! Lebensmittel über Lebensmittel!
Jetzt schnell, alles, was süß ist, zu mir!
Das Erste, was er erblickte: ein kläglicher Rest Marmorkuchen. Rath stopfte ihn in sich hinein. Der Kuchen war so trocken, dass er beinahe erstickt wäre, aber er war süß.
Noch so ein Stück schaffte er unmöglich, er musste etwas trinken, entdeckte eine Flasche Apfelsaft und setzte sie an, trank und aß im steten Wechsel, bis die Flasche leer war und der Kuchen vertilgt. Er brauchte mehr Obst, dachte er, Obst war am besten, Fruchtzucker, wenn er Doktor Karthaus richtig verstanden hatte. Er suchte und fand schließlich ein paar Kisten mit Obstvorräten, schnappte sich eine Banane und einen Apfel Wie im Rausch aß er sich durch das Obst, nur die Yangtao ließ er links liegen.
So langsam konnte er wieder klarer denken. Er nahm eine weitere Flasche Apfelsaft aus dem Kasten und kehrte in die Küche zurück. Der Chinese auf dem Boden stöhnte.
Und in das Stöhnen mischte sich ein anderes Geräusch, ein hohes, klägliches Winseln. »Kirie?«
Als Antwort kam ein kurzes Bellen. »Wo bist du, meine Süße?«
Noch ein Bellen. Das kam aus der Ecke neben dem großen Kühlschrank.
Rath glaubte, seinen Augen nicht zu trauen: Da hockte Kirie, in einem winzigen Käfig, der eher für den Transport von Hühnern gedacht sein mochte. Rath stellte den Apfelsaft auf den Boden und öffnete die Tür.
»Meine arme Kleine«, sagte er und nahm den Hund auf den Arm, »wollten sie dich hier auf die Speisekarte setzen?«
Nun bereute er es kein Stück mehr, den Chinesen vorhin auf die Kacheln geschickt zu
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