Der stumme Tod
hatte, taten ihm schon alle Knochen weh. Dann ging es abwärts.
Kapitel 55
Charly fühlte sich ein wenig unbehaglich, allein die Gegenwart von Paul beruhigte sie. Der machte den Eindruck, als könne mit ihm gar nichts schiefgehen. Selbst jetzt zog ein spöttisches Grinsen seine Mundwinkel auseinander.
Vorhin hätte sie ihn beinah in Gereons Büro vergessen. Zum Glück hatte er das nicht bemerkt. Im letzten Moment war es ihr eingefallen, sie hatte gerade mit Wilhelm Böhm telefoniert und grünes Licht für die Aktion bekommen, wollte zur Fahrbereitschaft, um sich einen Wagen zu holen, da war sie noch einmal umgekehrt, um ihn mitzunehmen.
Böhm hatte überrascht geklungen, aber auch erfreut, als sie ihn zu Hause angerufen hatte.
»Schön, dass Sie sich mal wieder melden, Charly.« »Ich bin hier in der Mordbereitschaft.«
»Oh!«
»Wir haben Grund zur Annahme, dass Kommissar Gereon Rath in Gefahr ist. Ein dienstlicher Besuch bei einem Zeugen, der womöglich mit dem Kinomörder zu tun haben könnte. Wenn er es nicht sogar selber ist. Jedenfalls ist Rath nicht zu Hause, er hat einen Freund versetzt und ... «
»Rath kann dienstlich nirgendwo hingefahren sein. Er ist beurlaubt.«
»Wie bitte? Davon hat hier niemand ein Wort gesagt.« »Weiß auch noch niemand.«
»Warum denn beurlaubt?«
»Mehrere Dienstvergehen. Auf ihn wartet ein Disziplinarverfahren. Einzelheiten kann ich selbstverständlich nicht verraten.« Die Nachricht hatte sie schockiert. Hatte Gereon sich schon wieder in die Scheiße geritten? Die Sache mit Brenner war ihr eingefallen, aber was hatte er sonst noch angestellt? Mehrere Dienstvergehen.
Egal! Jetzt war er in Gefahr!
Sie hatte Böhm am Telefon bezirzt und bekniet, aber es war gar nicht so einfach gewesen, den Oberkommissar breitzuschlagen, ihr ein paar Leute mitzugeben, die in Alarmbereitschaft in der Nähe warteten.
»Nur weil Sie es sind, Charly«, hatte er schließlich gesagt. »Aber Sie gehen erst mal allein da rein, als Privatperson, und erkunden die Lage. Ich will nicht, dass die preußische Polizei sich in einer Wannseevilla lächerlich macht, sollte das alles blinder Alarm gewesen sein. Was mich beim Kollegen Rath übrigens nicht weiter wundem würde.«
»Einverstanden«, hatte Charly gesagt und innerlich einen Luftsprung gemacht.
Nun stand sie hier vor der Wannseevilla, die eher wie eine düstere Trutzburg aussah, und war sich nicht sicher, ob sie sich gleich lächerlich machen oder in Gefahr begeben würde. Böhm hatte ihr eine Trillerpfeife mitgegeben. Die klassische Methode, um Hilfe zu holen.
Im Hause regte sich nichts, Charly klingelte noch einmal.
»Lass mich gleich das Reden übernehmen«, flüsterte Paul, »ich sehe noch weniger nach Polizei aus als du.«
Charly nickte.
Endlich hörten sie Schritte. Ein alter, weißhaariger Mann öffnete die Tür.
»Die Herrschaften wünschen? Wir kaufen nichts an der Tür!« »Entschuldigen Sie die späte Störung«, begann Paul mit bester Weinhändlerhöflichkeit, »wir wollen Ihnen nichts verkaufen, wir sind auf der Suche nach einem Freund, der uns die Nachricht hinterlassen hat, er sei an dieser Adresse hier zu finden. Gereon Rath. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Sie kommen in der Tat reichlich spät«, meinte der Diener. »Herr Rath war für eine Weile hier. Aber das ist schon Stunden her. Die Uhr schlägt gleich halb elf, falls Ihnen das entgangen sein sollte!«
»Wann hat Herr Rath das Haus denn verlassen?«
»Genau kann ich Ihnen das nicht sagen; der gnädige Herr hat ihn persönlich hinausbegleitet. Ich war mit den Vorbereitungen für das Diner beschäftigt.«
»Ich weiß, es ist spät, aber könnten wir Herrn Marquard noch kurz sprechen?«
Der Diener schaute, als habe man von ihm verlangt, in einem Bananenröckchen Charleston zu tanzen.
»Ich weiß nicht, ob ich Herrn Marquard jetzt stören kann. Sie können mir überdies glauben: Ihr Freund ist bestimmt nicht mehr hier.«
»Aber vielleicht weiß Herr Marquard, wo er hingegangen ist«, sagte Charly. »Bitte! Es ist sehr wichtig«, schob sie hinterher.
Für einen Augenblick glaubte sie, der Mann werde ihnen einfach die Tür vor der Nase zuschlagen.
Das tat er auch, aber vorher sagte er: »Einen Moment bitte. Ich werde nachfragen, ob Herr Marquard Zeit hat.«
Paul und Charly sahen sich an.
»Wenn's nicht so traurig wäre, würde ich lachen«, meinte Paul. »So langsam glaube ich, unsere Befürchtungen waren etwas voreilig. Das riecht nicht nach Gefahr, die sind
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