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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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zurückgelassenes Telefon auf dem Boden im Flur. Wie sie einmal eingerichtet war, verrieten helle, scharf konturierte Flächen auf den vergilbten Tapeten. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch.
    Das Wohnzimmer führte genau zur Straße hinaus. Als Rath einen Blick aus dem Fenster warf, wusste er, dass er einen Treffer gelandet hatte. Wenn er sich ein wenig nach vorn beugte, konnte er den grünen Opel unten am Straßenrand sehen. Und im Haus gegenüber blickte er genau in eine Wohnung, in der er sich gestern noch selbst umgeschaut hatte. Er konnte sogar das Telefon erkennen.
    Im ehemaligen Schlafzimmer der Seyfrieds wurde Rath fündig.
    Krempin hatte nicht viel zurückgelassen, ein paar ausgedrückte Zigaretten in einer leeren Konservendose. Aber das würde den Jungs vom ED wahrscheinlich reichen. Und ihm sowieso, er wusste genug. Zeit zu verschwinden, bevor hier gleich Hochbetrieb herrschte und Wilhelm Böhm womöglich höchstpersönlich auftauchte.
    Rath ging hinunter auf die Straße und klopfte auf das Wagendach. Czerwinski klappte die Seitenscheibe herunter. »Hat's geschmeckt?«, fragte Rath.
    »Danke.« Czerwinski reichte ihm den leeren Henkelmann. »Lass mal«, meinte Rath, »den kann ich jetzt nicht gebrauchen.
    Kannst du mir morgen mit ins Büro bringen.«
    »Klar.« Czerwinski grinste. »War übrigens wirklich lecker. Wer kocht denn so gut bei dir zu Hause?«
    »Mein Geheimnis. Aber dafür verrat ich dir etwas anderes.« Rath beugte sich hinunter, damit auch Henning mithören konnte. »Wenn ihr beim Chef Punkte sammeln wollt, dann ruft in der Burg an und lasst den ED rauskommen. Die Wohnung Seyfried im dritten Stock.«
    Czerwinski schaute wie ein kaputtes Auto.
    »Krempin«, sagte Rath. »Ich fürchte, wir haben in den letzten Tagen die falsche Straßenseite überwacht.«
    Es war gar nicht so einfach, um diese Zeit am Potsdamer Platz einen Parkplatz zu finden, direkt am Bahnhof war nichts mehr zu bekommen. Rath fuhr am Haus Vaterland vorbei ein Stück die Straße hinunter und parkte gegenüber dem Europahaus direkt unter einem doppelten Straßenschild. Die alte Schrift Königgrätzer Straße war bereits durchgestrichen, darunter das schneeweiße Schild mit dem neuen Namen geschraubt. Stresemannstraße. Rath erinnerte sich an den trüben Herbsttag, an dem die Nachricht von Stresemanns unerwartetem Tod die Runde gemacht hatte, er erinnerte sich an seine tiefe Betroffenheit. Obwohl Politik ihn wenig interessierte, hatte er gespürt, dass da etwas zerbrochen war, dass mit diesem Mann mehr gestorben war als der Außenminister. Dieser Mann war Deutschland ein strenger, aber liebevoller Vater gewesen, und weit und breit sah Rath niemanden, der an seine Stelle treten könnte, einen starken Politiker, der sein Land wirklich liebte und nicht nur dieses hohle Pathos verbreitete, mit dem vor allem die Deutschnationalen ihre Minderwertigkeitsgefühle überspielten, oder die Großmäuligkeit, die Goebbels' Nazis mit Patriotismus verwechselten.
    Während Rath zum Potsdamer Platz zurücklief, fragte er sich, was jetzt wohl in der Guerickestraße los sein würde. Er hatte das Eintreffen der Kollegen nicht abgewartet und sich gleich wieder von Plisch und Plum verabschiedet. Böhm würde sich ärgern. Erstens weil er Krempins Versteck nicht selbst entdeckt hatte, zweitens weil Rath ihm wieder durch die Lappen gegangen war. Und Krempin ebenfalls, daran änderte auch die Entdeckung des Verstecks nichts. Rath wusste genau, wann Felix Krempin die Wohnung verlassen hatte. Gestern. Als Mertens und Grabowski essen gegangen waren und ihre Vertretung, Kriminalkommissar Gereon Rath, seinen Beobachtungsposten verlassen und sich stattdessen in der Wohnung des zu Observierenden herumgetrieben hatte. Während der, den sie suchten, das alles beobachtet hatte. Krempin hatte in der Wohnung angerufen, um ganz sicherzugehen, dass die Straße frei blieb. Und dann sein Versteck verlassen, das durch den festen Beobachtungsposten vor der Haustür zu einer Falle geworden war. Rath hatte es versaut. Das wusste zwar niemand und durfte auch nie jemand erfahren, dennoch schwor er sich, diesen Fehler irgendwie wiedergutzumachen.
    Als er den Platz vor dem Potsdamer Bahnhof überquerte, parkte gerade ein kleiner BMW aus und schuf die ideale Parklücke für einen Buick. Das Pschorr-Haus stand direkt am Potsdamer Platz, schon oft war Rath hier vorbeigefahren, hatte den Bau aber noch nie betreten. Zigarettenrauch und Bierdunst empfingen ihn in der dunkel

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