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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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holzgetäfelten Gaststube. Er hielt einen Kellner an, der ein Tablett voller Bierseidel balancierte, und fragte ihn nach der heutigen Versammlung.
    »Sie meinen die Filmtheaterbesitzer?« Rath nickte.
    »Dahinten.« Der Kellner zeigte die Richtung mit seinem Kopf. »An der Theke vorbei, dann rechts die große Tür. Die haben aber schon angefangen.«
    »Macht nichts«, meinte Rath. »Das Beste kommt doch immer zum Schluss.«
    Er öffnete einen Flügel der Doppeltür, zu der ihn der Kellner geschickt hatte, und blickte auf lauter Hinterköpfe in einem mittelgroßen Saal. Vom auf dem Podest redete jemand, dem alle gebannt lauschten. Einige Köpfe drehten sich, als Rath eintrat, und zeigten ihm neugierige bis vorwurfsvolle Gesichter. Er schloss die Tür schnell wieder, und vom Lärm aus der Gaststube, dem Mischmasch aus Stimmen und Gläserklirren, war kaum noch etwas zu hören. Das hier waren massive Eichentüren.
    Als sich die Aufmerksamkeit des Publikums wieder dem Redner zugewandt hatte und niemand mehr auf den Eindringling achtete, ließ Rath seinen Blick schweifen. Oppenberg konnte er jedoch nirgends entdecken.
    Rath ging langsam die Tischreihen entlang, immer darauf bedacht, keinem Zuhörer die Sicht zu nehmen und auch sonst nicht aufzufallen. Kein großes Problem, es schauten ohnehin alle auf den Redner. Der erzählte irgendetwas von der Kunst des Films und davon, dass der sprechende Film diese Kunst zerstöre, dass der Sprechfilm, kurz gesagt, den Tod der Filmkunst bedeute. Rath interessierte sich nicht sonderlich für dieses Thema. Er mochte Filme, wie er sie bisher gekannt hatte, vor allem, wenn das Kino ein gutes Orchester beschäftigte und nicht nur einen Organisten oder Klavierspieler. Aber die neuen Filme, in denen gesprochen wurde, das war doch etwas ganz anderes. Den Protestparolen gegen den Tonfilm, die da vorn ins Mikrofon geschickt wurden, konnte er nichts abgewinnen, und dennoch konnte er sich der Wirkung dieser ein wenig rauen, aber gleichwohl angenehmen Stimme nicht entziehen. Rath war froh, dass dieser Mann keine politischen Parolen verzapfte, sondern sich auf Protestreden gegen den sprechenden Film beschränkte.
    Der Saal war gut gefüllt, Rath wunderte sich, dass so viele Kinobesitzer gegen den Tonfilm auf die Barrikaden gingen. War das nicht ein Fortschritt? Sollten sie sich nicht freuen? An den Wänden hingen Plakate, die er zum Teil auch schon in irgendwelchen Kinovitrinen hatte hängen sehen.
    Der Sprechfilm ist der Tod der Filmkunst, stand da. Die Lichtspieltheater sterben, wenn die Filme sprechen.
    Endlich hatte er Manfred Oppenberg entdeckt, ganz vorne an einem Tisch in der ersten Reihe, den weißhaarigen Kopf nachdenklich in die Hand gestützt.
    Der Mann auf dem Podest hatte seine Rede be endet, und die Leute applaudierten. Rath nutzte die vorübergehende Unruhe und arbeitete sich vor zu Oppenbergs Tisch. Doch bevor er den Produzenten erreichte, stand der auf und schüttelte dem Redner, der gerade vom Podest gestiegen war, die Hand. Um dann selbst hinter das Rednerpult zu treten.
    Rath seufzte. Da würde er sich wohl noch eine Rede anhören müssen.
    »Guten Abend!«, sprach ihn jemand an.
    Rath drehte sich um. Der Redner von vorhin reichte ihm die Hand, groß gewachsen und schlank, höchstens Mitte zwanzig. Aus der Nähe war die Faszination, die von ihm ausging, beinahe noch stärker zu spüren, einer jener Menschen, die einen Raum betraten und sofort im Mittelpunkt standen.
    »Schön, dass Sie gekommen sind, wenn auch etwas spät«, sagte die warme, leicht raue Stimme. »Wir brauchen jede Unterstützung. Ich ... ich kann mich im Moment allerdings leider nicht erinnern, welches Filmtheater Sie leiten ... «
    »Das am Alex«, sagte Rath und zeigte seine Marke. »Ich bin hier, um Herrn Oppenberg zu sprechen. - Privat«, fügte er hinzu, als er den fragenden Blick seines Gegenübers bemerkte.
    »Dann nehmen Sie doch Platz, solange Herr Oppenberg redet«, sagte der Mann und zeigte auf einen freien Stuhl an einem Tisch in der zweiten Reihe. »Soll ich Ihnen ein Getränk bringen lassen?« »Danke. Gegen ein Bier wäre nichts einzuwenden.«
    Rath setzte sich. Dankbar nahm er das Bier entgegen, das ihm ein Kellner brachte, und hörte zu.
    Natürlich verteidigte Oppenberg den Tonfilm, kein Wunder, drehte er doch selbst welche. Auch für die Filmproduktion sei es nicht einfach, alles auf die neue, kostspielige Technik umzustellen, sagte er. Doch daran führe kein Weg vorbei. Wer den Zug verpasse,

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