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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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sich zu rasieren.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, wünschte er dem unrasierten Gesicht im Spiegel und begann es einzuseifen.
    Eine halbe Stunde später saß er an einem Tisch mit Aussicht auf den Potsdamer Platz und sah zu, wie der graue Himmel über der Leipziger Straße langsam heller wurde. Das Tageblatt hatte er gleich mit an seinen Platz genommen. Weinert hatte seinen Artikel über die neuesten Entwicklungen im Fall Winter geschrieben, trotz der Regierungskrise, der er deutlich mehr Zeilen gewidmet hatte. Allerdings war das nicht der Artikel, den Rath erwartet hatte. Bei jeder Zeile wurde er wütender. Er faltete die Zeitung zusammen, nahm sie mit in die mahagonigetäfelte Fernsprechzelle des Josty und rief in der Nürnberger Straße an. Diesmal ging Weinert selbst ran, klang gleichwohl noch ziemlich verschlafen.
    »Kannst du mir sagen, was das soll?«, fragte Rath grußlos. »Morgen, Gereon«, sagte der Journalist, »lass einen doch erst mal wach werden, bevor du deine schlechte Laune verbreitest.« »Warum wohl habe ich schlechte Laune? Was um alles in der Welt hast du da geschrieben?«
    »Was sollte ich denn tun? Ich habe diesen Brenner angerufen, wie du mir gesagt hast. Aber dem konnte ich nichts in den Mund legen, der hatte in allen wesentlichen Punkten eine völlig andere Meinung als du. Und außerdem gab es da noch eine Pressemitteilung. Die Nachricht, dass dieser Beleuchter als Mörder gesucht wird, die steht heute nicht nur im Tageblatt.«
    »Ich habe dir doch erklärt, dass sich der Mörder wahrscheinlich nur Krempins Konstruktion zunutze gemacht hat. Und dass er den Drehplan und das Drehbuch gekannt haben muss, weil ... «
    »Gereon, du musst mir das alles nicht noch einmal erzählen!
    Wenn die Polizei eine offizielle Verlautbarung herausgibt, muss ich der zunächst einmal folgen. Und die besagt, dass ein gewisser Felix Krempin als dringend Tatverdächtiger im Fall Winter gesucht wird. Ihr habt sogar eine Belohnung ausgelobt! Wenn du meinen Artikel genauer liest, wirst du feststellen, dass das Tageblatt die einzige Zeitung ist, die ihren Lesern überhaupt einen alternativen Tathergang nahe bringt. «
    »Du hörst dich an wie dein eigener Chefredakteur«, sagte Rath, faltete die Zeitung auseinander und las vor: »In Polizeikreisen wird diese Theorie allerdings nicht von allen Beamten geteilt. Demnach könnte der gesuchte Felix Krempin ein verhinderter Saboteur sein, dessen Teufelsmaschine sich jemand anders zunutze machte, um Beuy Winter zu töten. Aber wer der Täter auch sein mag: Weitere Erkenntnisse sind
     
     
    wohl erst dann zu erwarten, wenn Krempin endlich gefunden wird und eine Aussage macht. Das klingt ja wirklich überwältigend!«
    » Tut mir leid, Gereon, wenn es dir nicht gefällt, aber mehr war nicht drin. Du hast zu lange gewartet, deine Geschichte war nicht mehr exklusiv. Und dass ich deinen Namen nicht nennen soll, das hast du mir selbst gesagt.«
    »Das wäre ja noch schöner! Wenn in diesen mageren Sätzen auch noch mein Name stehen würde.«
    »Du hast mit ihm gesprochen, nicht wahr, Gereon?« »Wie bitte?«
    »Du hast mit Krempin gesprochen, gib's zu!« »Warum willst du das wissen?«
    »Ich habe keine Ahnung, in welchem Kontakt du zu dem Mann stehst, aber wenn er wirklich unschuldig ist und seine Version der Geschichte erzählen möchte: Ich würde ihm zuhören. Und garantiere ihm hundertprozentigen Informantenschutz und völlige Diskretion. Sitzt er wirklich in einem Schrebergarten irgendwo im Grunewald? «
    »Du überschätzt mich. Ich habe keine Ahnung, wo Krempin sich herumtreibt. «
    »Ich wollte es nur gesagt haben. Er kann mir vertrauen. Sag ihm das, wenn du ihn das nächste Mal sprichst.«
    »Wir sehen uns dann heute Mittag.«
    Rath legte auf.
    Erst gegen neun betrat er die Burg. Das Büro war verwaist, hatte Böhm ihm auch noch die Voss abgezogen? Rath machte sich gleich an die Arbeit, holte Gräfs Bericht aus dem Umschlag und heftete die zwölf Seiten zu den übrigen Berichten von der Wessel-Beisetzung, die er sich unter anderem von der Politischen Polizei hatte kommen lassen. Böhm war sehr daran gelegen, den Fall als reinen Mordfall zu sehen und alles Politische auszublenden - bei den Berichten über die Beisetzung des Mordopfers war das jedoch kaum möglich. Die Nazis hatten eine Art Staatsbegräbnis daraus gemacht, und die Kommunisten hatten den Trauerzug von Anfang an mit provozierenden Parolen gestört, das Mordopfer immer wieder als Zuhälter verhöhnt. Selbst

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