Der stumme Tod
Gräf, trank aus und hob das leere Glas. Der Wirt machte sich wieder an die Arbeit.
»Dank deiner Hilfe bin ich morgen dann wohl durch mit meiner Strafarbeit. «
»Meinst du, Böhm lässt dich so ohne Weiteres wieder mitmischen im Fall Winter? Mach dir besser keine falschen Hoffnungen.«
Rath zuckte die Achseln. »Mal sehen. Sonst kannst du mich ja auf dem Laufenden halten.«
Gräf legte den Kopf schief. »Du hast nicht vor, dein eigenes Süppchen zu kochen?«
»Ich will nur wissen, wie es weitergeht. Das war unser Fall, und wir waren schon ganz schön weit, bis Böhm uns die Butter vom Brot genommen hat. Und jetzt? Lässt er dich im Grunewald Schrebergärten abklappern?«
»Solche Arbeiten müssen auch erledigt werden. Bei dir habe ich überwiegend im Büro sitzen und Böhm abwimmeln dürfen, wenn ich dich daran erinnern darf. Und wenn ich derjenige sein sollte, der unseren Hauptverdächtigen aufspürt ... ich hätte nichts dagegen.«
»Glaubst du etwa auch, dass Krempin die Winter umbringen wollte?«
»Sieht doch so aus. Warum sonst macht er sich unsichtbar?« »Weil alle glauben, dass er die Winter umbringen wollte. Die Polizei. Bellmann. Nicht zu vergessen die versammelte Hauptstadtpresse und damit halb Berlin.«
»Wir hätten Bellmann diese dämliche Pressekonferenz nie durchgehen lassen dürfen.«
»Er wäre seine Verschwörungstheorien auch so losgeworden.
Und so ganz falsch liegt er damit auch nicht. Nur dass Krempin kein Mörder ist.«
Rath legte dem Kriminalsekretär noch einmal die Theorie dar, die er am Morgen auf der Dienstbesprechung dank Böhms rigidem Eingreifen nur äußerst rudimentär hatte umreißen können.
»Und du glaubst diesem Oppenberg?«, fragte Gräf.
Rath zuckte die Achseln. »Nicht weniger jedenfalls als Bellmann.
Die beiden bekämpfen sich mit allen Tricks, weil ihnen ein pfiffiger Drehbuchautor zweimal dieselbe Geschichte verkauft hat und die Frage, welcher Film es zuerst in die Kinos schafft, überlebenswichtig für die jeweilige Firma sein kann.«
»Die drehen denselben Film? Ich glaube nicht, dass der Autor so etwas darf. Da gibt es bestimmt einen Passus im Vertrag oder so, dass er die Geschichte nicht noch an einen anderen verkaufen darf.«
»Morgen weiß ich mehr; ich hab einen Termin mit dem Autor.« »Ich frage mich langsam, wer hier wen auf dem Laufenden halten soll!«
»Ich erzähle dir alles, was ich herausfinde. Dann kannst du Punkte sammeln für die nächste Beförderung. Du musst mir nur versprechen, dafür zu sorgen, dass Böhm nicht die ganzen Lorbeeren einheimst. «
Gräf schüttelte den Kopf. »Du bist unverbesserlich, Gereon«, sagte er und hob sein Glas. "Und nur im Suff zu ertragen.«
Mittwoch,
5. März 1930
Kapitel 26
Der Aschermittwoch erwartete ihn mit aschgrauem Himmel. Nach dem ersten Blick aus dem Fenster drehte Rath sich
gleich wieder um, vergrub sein Gesicht im Kopfkissen und schloss die Augen.
Dabei hatte er nicht mal einen Kater.
Manchmal wünschte er, wenigstens ab und zu einen kompletten Tag einfach so überspringen zu können: sich im Bett umdrehen, nach einem Viertelstündchen die Augen wieder aufschlagen, und schon dämmert der folgende Tag heran, und alle Probleme haben sich mitsamt dem übersprungenen Tag in Luft aufgelöst.
Auch jetzt wünschte er das, doch als er die Augen wieder aufschlug, hatte der große Zeiger seines Weckers nicht einmal das Viertelstündchen geschafft, sondern nur sieben Minuten. Und der Tag lag immer noch vor ihm, draußen vor dem Fenster war hinter den dunklen Dachsilhouetten derselbe aschgraue Himmel zu sehen wie zuvor.
Der fünfte März gehörte immer zu den Tagen, die er überspringen wollte und doch in voller Länge ertragen musste. Rath musste nicht einmal auf den Kalender schauen, um zu wissen, dass es wieder so weit war, er spürte es, schon seit Tagen hatte er es gespürt, so wie ein Gewitter sich durch drückende Schwüle ankündigen kann.
Er sah ein, dass Liegenbleiben zwecklos war, und stand auf. Bringen wir's hinter uns, dachte er, kein Tag hat mehr als vierundzwanzig Stunden. Müde schlurfte er aus dem Schlafzimmer, zuerst in die Küche, wie jeden Morgen, um das Kaffeewasser aufzusetzen, dann ins Bad. Bevor er sich auf die Toilette setzte, drehte er den Hahn auf und schaufelte sich mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Dann machte er den Badeofen an.
Vielleicht hatte er ja Glück und käme durch den Tag, ohne noch einmal an das Datum erinnert zu werden. Niemand in der
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