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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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saßen überwiegend Touristen, die den Ausblick genossen und hofften, die ein oder andere Berühmtheit zu Gesicht zu bekommen. Rath bestellte einen Kaffee und ließ sich vom Zeitungskellner ein Tageblatt geben. Hier in diesem Glaskasten saß man ganz angenehm, die Aussicht auf das Großstadtleben, das rund um den toten Stein der Gedächtniskirche tobte, war grandios. Auch der Kaffee war gut, es gab sogar ein Glas Wasser dazu. Rath rauchte eine Zigarette zum Kaffee, blätterte in der Zeitung und wartete.
    Um kurz nach eins betrat Berthold Weinert den Glaskasten, zusammen mit einem hageren, ziemlich großen Mann, der nicht viel älter als dreißig sein konnte, dessen Haar sich aber schon merklich ausgedünnt hatte. Er trug eine dicke Brille und hatte sich mindestens zwei Tage nicht rasiert.
    Weinert hatte Rath entdeckt und zeigte seinem Begleiter den Tisch. Als sie herangekommen waren, machte der Journalist alle miteinander bekannt, und Rath gab Heyer die Hand.
    »Sie schreiben also Drehbücher«, sagte er zu dem Mann, der ihn freundlich anlächelte.
    »Und Sie bringen Mörder ins Gefängnis«, sagte der Autor. »Berthold hat mir von Ihrer Arbeit erzählt. Vielleicht kann ich Sie beizeiten mal um Rat fragen, wenn ich einen Kriminalfilm schreibe. «
    »Gern«, sagte Rath. »Fragen Sie mich einfach, wenn es so weit ist, kann nicht schaden. Die Kriminalgeschichten, die ich bislang im Kino gesehen habe, hatten mit wirklicher Polizeiarbeit herzlich wenig zu tun.«
    Die Männer setzten sich zu ihm an den Tisch, beide orderten etwas Alkoholisches, Weinert ein Glas Bordeaux, Heyer einen Wodka Martini. Rath nippte weiter an seinem Kaffee, ein bisschen neidisch auf die Getränke der anderen. Er bot Heyer eine Zigarette an, und der griff zu. Weinert, dem überzeugten Nichtraucher, hielt er das neue Etui gar nicht erst hin.
    »Lassen Sie mich direkt zur Sache kommen«, sagte Rath, während er Heyer die Zigarette anzündete. »Sie haben ein und dieselbe Geschichte zweimal verkauft. Ist so etwas eigentlich üblich in Ihrer Branche?«
    Kein guter Einstieg, merkte Rath, er hatte einen wunden Punkt getroffen. Heyer reagierte empfindsam.
    »Ich weiß nicht, was in der Branche alles üblich ist«, sagte er. »Jedenfalls scheint es üblich zu sein, einem Autor einfach seine Geschichte wegzunehmen und sie einem Wildfremden zu geben.«
    »Erklären Sie das doch bitte etwas genauer«, bat Rath.
    »Gern«, sagte Heyer und zog gierig an seiner Overstolz. »Ich arbeite schon lange Jahre mit Oppenbergs Montana zusammen, und wir sind immer gut miteinander umgegangen. Bis ich ihm meine Zeusgeschichte verkaufte.«
    »Was ist denn passiert? Hat er nicht gezahlt?«
    »Er hat gezahlt. Gut gezahlt. Und pünktlich, wie immer. Das Problem ist: Er hat das Skript vor einem Jahr ungefähr gekauft und wollte eigentlich einen herkömmlichen, stummen Film daraus machen. Doch, wie das im Film schon mal ist, das Projekt blieb liegen, andere wurden vorgezogen, immer wieder kam etwas dazwischen. Und schließlich kam etwas ganz Gewaltiges dazwischen.«
    Heyer machte eine theatralische Pause, als handele es sich bei diesem Gewaltigen mindestens um ein Erdbeben oder einen Wirbelsturm. Der Kellner unterstützte Heyers Dramaturgie, indem er in diesem Augenblick die Getränke brachte.
    »Und zwar der Tonfilm«, fuhr der Autor fort, als der Kellner sich wieder entfernt hatte. »Oppenberg beschloss, aus meinem Film einen Tonfilm zu machen, doch dafür musste das Drehbuch umgeschrieben werden. Ein Stummfilmskript hat keine Dialoge, oder besser: so gut wie keine. Und wenn, dann müssen sie auf eine Texttafel passen.« Heyer zog an seiner Zigarette. »Das ist beim Tonfilm anders. Da ist der Dialog ungleich wichtiger.«
    Langsam ahnte Rath, worauf der Drehbuchautor hinauswollte. »Lassen Sie mich raten«, sagte er, »Oppenberg hat Ihnen den zusätzlichen Aufwand nicht bezahlt.«
    »Schlimmer«, sagte Heyer, »er hat die Dialoge von jemand anderem schreiben lassen. Und zu allem Überfluss auch noch den Titel geändert. Vom Blitz getroffen - wie poetisch. Ha! «-
    »Wie hieß Ihr Buch denn?«
    »Olympische Spiele. Sie verstehen: Zeus, der Olympier, treibt seine Spiele mit den Menschen ... « Heyer unterstützte seine Erklärung mit hektisch fliegenden Händen.
    »Und das darf man so einfach«, fragte Rath, »aus einem Drehbuch einen ganz anderen Film machen?«
    »Oppenberg hat mein Buch gekauft, es gehört ihm. Also kann er damit machen, was er will. Und die Geschichte hat sich

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