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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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wenn das der Wahrheit nahekommen sollte, dachte Rath, die feine englische Art war es nicht gerade.
    Nicht einmal einen wirklichen Zuhälter bezeichnete man auf seiner Beerdigung als einen solchen. Aus Gräfs Bericht meinte er sogar ein gewisses Verständnis für die Wut der Völkischen herauszulesen, sich vom roten Pöbel so beschimpfen lassen zu müssen. Die Nazis sprachen ihren Toten als Märtyrer heilig, die Roten beschimpften ihn als Luden - gelogen war beides.
    Rath brauchte keine Stunde, bis er alles abgeheftet hatte, doch er verspürte keine große Lust, mit den fertigen Wessel-Akten jetzt schon zu Böhm zu rennen. Lieber warten, bis die Voss endlich kam, und die Sekretärin damit beauftragen. Er machte sich an den Bericht, den Weiß eingefordert hatte. Gar nicht so einfach, den Hergang seiner Auseinandersetzung mit Brenner in Worte zu fassen, wie er merkte, als er nach möglichst unverfänglichen Formulierungen suchte. Vor allem den Grund zu nennen, warum er Brenner unbedingt die Faust ins Gesicht hatte rammen müssen, fiel ihm schwer. Er konnte ja schlecht schreiben: Kriminalkommissar Brenner hat meine ehemalige Geliebte, die Stenotypistin in der Mordinspektion, Charlotte Ritter, aufs Schwerste beleidigt, sodass ich mich gezwungen sah, die Ehre der Dame wiederherzustellen, nicht ohne zuvor den Kriminalkommissar Brenner gewarnt zu haben, mit seinen Beleidigungen fortzufahren. Als Brenner sich jedoch uneinsichtig zeigte und mit seinen ehrabschneidenden Reden fortfuhr, ließ er mir keine andere Wahl, als dieselben gewaltsam zu unterbinden.
    Er schrieb die Sätze dennoch hin. Wenigstens konnte er darauf aufbauen, so weit umformulieren und weglassen, bis sein Bericht der Wahrheit entsprach und Charly gleichwohl nicht bloßstellte.
    Draußen klopfte es an der Tür.
    Rath verfluchte seine Sekretärin. Wo steckte die bloß? Um alles musste man sich selber kümmern! Er stand vom Schreibtisch auf, ging an seine Tür und rief quer durchs Vorzimmer: »Herein!«
    Erika Voss kam herein, die Augen schuldbewusst auf den Boden gerichtet, grüßte kurz und hängte ihren Mantel an die Garderobe.
    »Was soll das denn? Warum klopfen Sie? Und warum kommen Sie erst jetzt?«
    »Entschuldigung, Herr Kommissar, aber - ich ... «
    »Ihr Glück, dass Sie sonst pünktlich sind«, sagte Rath.
    Wieder senkte sie ihren Blick, eine schüchterne Geste, die überhaupt nicht zu ihrem Berliner Görengesicht passen wollte, und setzte sich an ihren Platz.
    »Dann sorgen Sie mal dafür, dass ich die nächste Stunde nicht gestört werde«, sagte Rath und schloss die Tür.
    Er hörte sie leise telefonieren, wahrscheinlich wieder mit ihrer Schwester, verspürte aber keine Lust, sie zur Rede zu stellen.
    Keine fünf Minuten später klopfte es.
    Rath reagierte unwirsch. »Was ist denn?«, knurrte er.
    Die Tür blieb geschlossen, es klopfte wieder. Er verlor die Geduld, sprang auf, rannte zur Tür und riss sie auf.
    »Habe ich nicht deutlich gesagt, dass ich nicht gestört ... «
    Ein Knall unterbrach ihn. Ein Sektkorken prallte mit einem metallischen Gong vom Lampenschirm gegen die Wand und blieb irgendwo zwischen Papierkorb und Schreibtisch liegen.
    Aus einer Sektflasche sprudelte es wild, und Reinhold Gräf war bestrebt, die Fontäne in mehreren Sektgläsern aufzufangen. Neben ihm stand eine strahlende Erika Voss, hinter ihm, ein wenig verlegen dreinschauend, Plisch und Plum. Und dann fingen sie auch noch an zu singen. Ein unfreiwillig vierstimmiger Chor brachte ihm ein Geburtstagsständchen. Nicht ganz intonationssicher, aber mit Herz.
    Eigentlich hasste Rath solche Ständchen, zumal zum Geburtstag, aber in diesem Fall war er richtiggehend gerührt. Dass die Kollegen seinen Geburtstag kannten! Und noch Zeit fanden, ihm zu gratulieren, wo Böhm sie doch in alle Himmelsrichtungen auseinandergerissen hatte.
    Das Lied war zu Ende, und Reinhold Gräf trat vor, zwei gefüllte Sektgläser in der Hand. »Alles Gute zum Geburtstag«, sagte er und streckte ihm eines entgegen.
    Rath nahm das Glas und prostete den vieren zu, die sich schon alle mit Gläsern versorgt hatten.
    Erika Voss gratulierte mit einem Knicks. »Herzlichen Glückwunsch, Herr Kommissar.«
    »Alles Gute auch von uns, Gereon«, sagte Czerwinski und hob sein Glas zeitgleich mit Henning.
    Sie tranken. Das Zeug war klebrig süß, aber Rath ließ sich nichts anmerken, hier zählte allein der gute Wille.
    »Ich bin immer noch ganz platt, woher wusstet ihr?«
    »Einfache Ermittlungsarbeit«, meinte

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